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Die UNO, das Völkerrecht und die Zukunft Palästinas

Freitag, 19. August 2011 | Autor: hfe | Diese Seite als PDF herunterladen

von Norman Paech

Seitdem US-Präsident Obama sich entschlossen hat, seine Nah-Ost-Politik nicht mehr an seiner berühmten Kairo-Rede vom Juli 2009, sondern an den radikalen Forderungen des israelischen Ministerpräsidenten Netanyahu nach einem jüdischen Staat und uneingeschränktem Siedlungsbau auszurichten, sind die Hoffnungen auf eine baldige Friedenslösung im Nahen Osten zerstoben. Auch die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten haben sich als unfähig erwiesen, eine eigene Initiative zur Öffnung der Sackgasse, in die die Politik geraten ist, zu ergreifen. Der Status quo einer Besatzungspolitik, die permanent Gewaltexzesse produziert, scheint damit zementiert. Umso erstaunlicher ist es, dass in dieser Situation der Chef der PLO Mahmud Abbas den Mut gefasst hat, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, und die UNO einzuschalten. Seine Ankündigung, einen Antrag an die UNO um die Aufnahme als 193. Mitgliedstaat zu stellen, hat  - wie vorauszusehen war – die sofortige Ablehnung durch die USA und die Bundesrepublik als mächtigste Interessenvertreter der israelischen Regierung zur Folge gehabt. Mit erheblichem Druck wird versucht, Abbas von seinem Plan noch abzubringen, und die israelische Diplomatie sucht nach der „moralischen Mehrheit“ in der UNO zur Abwehr des Antrags.

1. Die Rolle der UNO bei der Entstehung Israels

Israel und den USA war es Jahrzehnte lang gelungen, die UNO aus dem Konflikt herauszuhalten. Verständlich, denn in der Palästina-Frage standen und stehen sie auf verlorenem Posten. Die erdrückende Mehrheit der Staaten verurteilt die Besatzungspolitik durch Israel. Dies war zuletzt in der Einforderung eines Rechtsgutachtens des Internationalen Gerichtshofes (IGH)  über den Mauerbau durch die UNO-Generalversammlung und das vernichtende Urteil des IGH über die Rechtswidrigkeit der Mauer deutlich geworden.[1] Einzig in den Kämpfen um die Entstehung des Staates Israels hat die UNO eine von den jüdischen Siedlern und späteren Bürgern Israels akzeptierte Rolle spielen können. Seitdem gehörte es zur Strategie aller israelischen Regierungen, Resolutionen der UN-Generalversammlung offen zu missachten. Die US-Regierungen unterstützten diesen Boykott, indem sie Israel vor Verurteilungen durch den UN-Sicherheitsrat mit ihrem Veto bewahrten. In den vergangenen 15 Jahren haben die USA elfmal zugunsten Israels von ihrem Vetorecht Gebrauch gemacht haben, zuletzt am 28. Februar 2011. Sie verhinderten damals eine Resolution, die den illegalen Charakter der zionistischen Siedlungen in den besetzten Gebieten feststellte.

Es lohnt sich allerdings, noch einmal zurückzuschauen auf die Diskussionen in der UNO jener Zeit, als es um die Zukunft der jüdischen Bevölkerung in Palästina und die Gründung eines neuen Staates auf fremdem Territorium ging.[2] Denn in ihnen begegnen wir wieder den Problemen, die auch heute noch auf der Tagesordnung stehen. Die UNO hatten das Problem im Februar 1947 von den Briten geerbt, die ihr Mandat zurückgaben, da sie in den harten Auseinandersetzungen zwischen der arabischen Bevölkerung und den jüdischen Siedlern nun selbst von denen angegriffen wurden, die sie bislang noch unterstützt hatten. Jetzt mit dem Palästina-Problem konfrontiert, schufen die UNO zunächst das „UN Special Committee on Palestine“ (UNSCOP), welches Palästina bereiste. Das Ergebnis dieser Mission legten sie in einem sog. Mehrheitsplan für die Teilung des Landes und einen Minderheitsplan für einen föderativen Staat vor. Der Mehrheitsplan teilte Palästina in einen jüdischen Staat, einen arabischen Staat und eine internationale Zone von Jerusalem unter UN‑Aufsicht auf. Der Minderheitsplan wollte in Palästina einen föderativen Staat der jüdischen und der arabischen Gemeinschaft mit der Hauptstadt Jerusalem schaffen. Die Juden waren trotz Vorbehalten mit dem Mehrheitsplan einverstanden; die Araber lehnten beide Vorschläge der UNSCOP ausdrücklich ab. Sie befürchteten, dass der Mehrheitsplan die territoriale Integrität Palästinas zerstöre und auch der Minderheitsplan in verdeckter Form zu einer Teilung führen werde. Stattdessen schlugen die arabischen Delegationen ein säkulares, demokratisches Staatswesen in Palästina vor, das die Rechte und Bedürfnisse aller Menschen und Minoritäten respektiert, die sog. Ein-Staatenlösung.

Am 23. September 1947 schuf die UN-Generalversammlung  ein ad‑hoc-Komitee, das die beiden alternativen Pläne der UNSCOP beraten sollte. Die Mitglieder lehnten den Vorschlag, das Palästinaproblem dem Internationalen Gerichtshof zu übergeben, ab. Danach diskutierten sie die wichtige Frage, ob die Vereinten Nationen überhaupt berechtigt seien, eine Staatsgründung und damit die Teilung Palästinas zu behandeln. Wie unsicher selbst die UN-Vertreter in Bezug auf diesen Streitpunkt waren, zeigte die äußerst knappe Abstimmung der  ad‑hoc‑Kommission vom 24. November 1947. Bei 57 Stimmberechtigten waren nur 21 überzeugt, dass die Vereinten Nationen das Recht zu einer solchen Entscheidung hätten, 20 waren davon nicht überzeugt, der Rest enthielt sich. In einer ausführlichen Studie fasste das Komitee lediglich den aktuellen Stand des Völkerrechts zusammen, „dass die Vereinten Nationen nicht die Macht haben, einen neuen Staat zu schaffen. Solch eine Entscheidung kann nur durch den freien Willen des Volkes des in Frage  stehenden Landes selbst getroffen werden. Diese Bedingung ist im Falle des Mehrheitsvorschlages nicht erfüllt, da er die Errichtung eines jüdischen Staates in völliger Missachtung der Wünsche und Interessen der Araber von Palästina involviert.”[3] Die Hauptbetroffenen, das palästinensische Volk, hatte man jedoch nicht befragt. Ein entsprechender Vorschlag, ein Referendum abzuhalten, war von der UNO abgelehnt worden. Resolutionen der UN-Generalversammlung können lediglich Empfehlungen aussprechen aber keine Gesetze oder Staaten schaffen. Der Bericht weist darauf hin, dass die Vereinten Nationen bei ihren Entscheidungen an ihre Charta gebunden sind, in deren Artikel 1 es ausdrücklich heißt, dass das “Prinzip gleicher Rechte und das Selbstbestimmungsrecht der Völker” respektiert werden müssen. Der Teilungsbeschluss verstoße eindeutig gegen beide Rechtsprinzipien der Charta.

Dennoch gingen die Beratungen weiter und befassten sich mit Fragen, die die Tiefe und unverminderte Schärfe des Konfliktes noch heute bestimmen und im Gedächtnis der Palästinenser und Palästinenserinnen aufbewahrt sind.  Das Komitee setzte sich mit den präzisen Bestimmungen des britischen Mandats auseinander. Es stellte fest, dass der Völkerbund gemäß Art. 22 seiner Satzung Palästina die Unabhängigkeit zu geben habe und dass Großbritannien als Mandatar das palästinensische Volk lediglich auf seine Souveränität vorbereiten sollte. Der Report betont, dass “die Umwandlung Palästinas in einen unabhängigen Staat der logische Kulminationspunkt der Zielsetzung des Mandats und der Plan für die Entwicklung nicht‑selbstregierender Länder“ ist. Artikel 28 des Mandatsvertrags weist darauf  hin, dass nach Beendigung des Mandats die Regierungsgewalt “der Regierung von Palästina” überantwortet wird. “Das Ziel des Mandats (. . .)war, dem palästinensischen Volk administrativen Rat  und Hilfe zu erweisen, bis es fähig sein würde, allein zu regieren. Es war weder davon die Rede (dem palästinensischen Volk) irgendwelche Bedingungen aufzuerlegen, wenn es fähig sein würde, allein zu regieren, noch ihm einen Teil seines Landes wegzunehmen.”

Doch dieses Mandat war als unerfüllbar von Großbritannien zurückgegeben worden, und der nun vorliegende Teilungsplan lief auf eine Enteignung gigantischen Ausmaßes hinaus. Allein die rein “statistischen” Elemente dieses Planes, die das Komitee untersuchte,  zeigten, inwieweit er die zukünftigen Auseinandersetzungen geradezu provozieren musste. Dem “arabischen Staat” wurde ein Gebiet von 11 600 qkm zugestanden, was 42,88 % der palästinensi­schen Gesamtfläche entsprach. Der „jüdische Staat” umfasste dagegen 15 100 qkm oder 56,47 % der totalen Fläche Palästinas. 176 qkm waren der internationalen Zone von Jerusalem vorbehalten, in der 150 540 Araber und 99 960 Juden wohnten. Im “arabischen Staat” gab es vor der Teilung 740 010 Araber und 9 520 Juden; im „jüdischen Staat” lebten laut UNSCOP 499 020 Juden und 509 780 Araber. Die Juden, die bis zur Teilung Palästinas nur 5,67 % des Bodens erworben hatten, kamen mit Hilfe der Teilungs‑Resolution der Vereinten Nationen in den Besitz von 56,47 % des gesamten palästinensischen Landes.

Dennoch sprach sich die ad‑hoc‑Kommission schließlich mit 25 gegen 13 Stimmen bei 17 Enthaltungen für den Teilungsplan aus. Zwei Staaten sollten in Palästina entstehen, die politisch unabhängig sein, wirtschaftlich aber miteinander in Verbindung stehen sollten (”economic union”). Der Vorschlag, einen unabhängigen demokratischen Staat in Palästina zu errichten, bekam keine Mehrheit. Am 29. November 1947 entschied die Generalversammlung, die Teilung Palästinas in einen jüdischen und einen arabischen Staat vorzuschlagen.[4] Mit Ausnahme der von den USA abhängigen Länder sprach sich kein Staat der Dritten Welt für die Teilung Palästinas aus. Großbritannien enthielt sich der Stimme; die anderen Großmächte ‑ einschließlich der Sowjetunion ‑ unterstützten den Teilungsplan.

Die Zionisten begrüßten dieses Abstimmungsergebnis, sie hatten einen entscheidenden Sieg errungen. Die Araber lehnten den Entscheid der UNO ab und kündigten ihren Widerstand ge­gen den ungewollten und ihrer Ansicht nach ungerechtfertigten Verlust Palästinas an. Die Sowjetunion hingegen, die sich später als bedeutendste Schutzmacht der arabischen Welt verstand, sprach sich 1947 für die Schaffung eines jüdischen Staates in Palästina aus. Im November 1947 erklärte A. Gromyko als Vertreter der UdSSR vor den Vereinten Nationen: “Der Umstand, dass kein abendländisches Land in der Lage gewesen ist, die Grundrechte des jüdischen Volkes zu verteidigen und es gegen die von den faschistischen Henkern ausgelöste Gewalttätigkeit zu beschützen, erklärt den Wunsch der Juden, einen eigenen Staat zu gründen. Es wäre ungerecht, diese Tatsache nicht zu berücksichtigen und dem jüdischen Volk das Recht zu verweigern, seine Wünsche zu verwirklichen.” Am 11. Dezember 1948 folgte Resolution 194 (II) der UN-Generalversammlung, mit der den Flüchtlingen ein Rückkehrrecht zum frühest möglichen Zeitpunkt und ein Recht auf Entschädigung für das verlorene Eigentum zuerkannt wurde.

So versuchten die europäischen Staaten, sich eines gemeinsamen Problems, dessen Urheberschaft sie nicht verleugnen konnten, zu dessen Lösung sie aber nicht in der Lage waren, auf Kosten eines nun gänzlich unbeteiligten Volkes zu entledigen – nicht ahnend, mit welcher Wucht es auf sie wieder zurückfallen werde. Für die arabische Bevölkerung waren die jüdische Besiedlung und der israelische Staat eine koloniale Bürde und blieb es auch dann noch, als es schließlich bereit war, Israel definitiv als Staat anzuerkennen, obwohl ihr selbst ein solcher auch weiterhin vorenthalten wurde. Das ist inzwischen Geschichte – und die Palästinenser haben wiederholt zu verstehen gegeben, dass sie an diesem Teil der Geschichte für eine künftige Friedensregelung nicht zu rütteln gedenken. Aber es ist auch Teil des kollektiven Gedächtnisses eines Volkes, welches sich dieser Fakten vor allem dann erinnert, wenn von der israelischen Regierung und ihren Siedlern selbst diese Daten zu ihren Gunsten verändert werden (Jerusalem, Westbank). Edward Said hat seine Landsleute gemahnt, den Holocaust in das Bewusstsein auch ihrer Existenz und Zukunft zu integrieren. Aus Israel ist von ähnlich prominenter Warte keine vergleichbare Mahnung bekannt, die palästinensische Katastrophe von 1948 (Naqba) auch in das jüdische Bewusstsein aufzunehmen. Im Gegenteil, erst kürzlich wurden offizielle Feiern zum Gedenken an die Naqba von 1948 von der israelischen Regierung verboten.

2. Der Ausschluss der UNO aus dem Palästinakonflikt

War die UNO zu dieser Zeit das entscheidende Gremium, der einseitigen Ausrufung des Staates Israel durch Ben Gurion im Mai 1948 trotz zweifelhafter völkerrechtlicher Grundlage die weltweite Legitimation zu verschaffen,[5] so veränderte sich das Verhältnis Israel – UNO nach dem sog. Sechstagekrieg von 1967 grundlegend.  Der UN-Sicherheitsrat reagierte sofort am 6. Juni mit der Resolution 237. Zahlreiche Resolutionen auch der Generalversammlung folgten bis zur berühmten Resolution 242 des UN-Sicherheitsrates vom 22. November 1967.  Der entscheidende Satz heißt: „Withdrawal of Israel armed forces from territories occupied in the recent conflict. “ Aus der gleichberechtigten französischen Version ergibt sich ebenso eindeutig wie aus den späteren Resolutionen und der völkerrechtlichen Regel, dass gewaltsam besetzte Gebiete vollständig zurückzugeben sind, dass sich Israel aus allen besetzten Gebieten wieder zu entfernen hat – ungeachtet der Möglichkeit, über einen territorialen Austausch zu verhandeln. Israels offizielle Interpretation verweist allerdings auf den fehlenden Artikel vor „territories“, woraus die Regierung den Schluss zieht, dass sie die Resolution bereits dann erfüllt habe, wenn sie sich nur aus Teilen der besetzten Gebiete zurückziehe. Für diese Interpretation vermag Israel zwar immer wieder einige US-amerikanische und britische Diplomaten zu gewinnen,[6] ansonsten steht sie insbes. in der Völkerrechtslehre vollkommen allein. Doch die bedingungslose Unterstützung durch die Westmächte erlaubte es Israel bisher, alle Aufforderungen der UNO zum Rückzug zurückzuweisen oder zu ignorieren.

Die Aufmerksamkeit der UNO konzentrierte sich in den Folgejahren auf die Siedlungs- und Annexionspolitik, die nicht nur gegen alle internationalen Konventionen wie die Haager Konventionen von 1907 und die Genfer Konventionen von 1949 mit den Zusatzprotokollen von 1977 verstoßen, sondern auch die zentrale Hürde im gegenwärtigen „Friedensprozess“ bilden. Eine UNO-Sonderkommission schloss 1972 ihren Bericht mit der Folgerung: „eine vorsätzliche Politik der Annexion und der Besiedlung der besetzten Gebiete, die sich durch die absichtliche Ausrottung der palästinensischen nationalen Identität, …die Verweigerung des Rechts auf Rückkehr (und anderer Rechte) auszeichne und die als Negierung von Buchstaben und Geist der vierten Genfer Konvention zu erachten sei“.

Erst nach dem sog. Yom-Kippur Krieg vom Oktober 1973, der von den Arabern begonnen wurde und mit ihrer Niederlage endete, kam es zum Durchbruch für die PLO. Noch auf der Friedenskonferenz in Genf im Dezember 1973 war sie nicht dabei, weswegen es zu keinen zukunftsweisenden Abmachungen kommen konnte. Doch im nächsten Jahr 1974 auf der 29. UN-Vollversammlung  wurde mit den Resolutionen 3236 und  3327 das volle Selbstbestimmungsrecht für das palästinensische Volk anerkannt sowie das Recht, es mit allen Mitteln durchzusetzen. Die PLO erhielt als legitime Repräsentantin des palästinensischen Volkes Beobachterstatus bei der UNO und der bewaffnete Kampf wurde als legitimes Mittel akzeptiert. Diese Rechte waren bereits den südafrikanischen Befreiungsbewegungen ANC, PAC und SWAPO, der angolanische MPLA und der FRELIMO in Mosambik zuerkannt worden.[7] Die NATO-Staaten konnten sich allerdings mit dieser Entwicklung nie befreunden und stimmten dagegen, aber den zunehmenden Konsens unter den UNO-Staaten konnten sie nicht aufhalten. Im UN-Sicherheitsrat wären diese Resolutionen auf jeden Fall am Veto der USA gescheitert, denn sie verfolgten im Nahen Osten andere, eigene Ziele. William Fulbright brachte sie 1973 auf die nüchterne Formel: „Kontrolle des sowjetischen Einflusses, Unterstützung Israels, Verbesserung der Beziehungen zu den arabischen Staaten, Sicherung der Ölversorgung“. Präsident Carter versprach zwar bei Amtsantritt im Januar 1977 eine „gerechte Lösung für das Problem der Palästinenser“ und eine „palästinensische Heimstätte“, verhinderte aber einen Monat später eine Resolution des UN-Sicherheitsrats, in der der Vollzug der Resolution 242 und die Anerkennung der „unveräußerlichen Rechte des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung, einschließlich des Rechts auf Rückkehr und des Rechts auf nationale Unabhängigkeit und Souveränität in Palästina“ gefordert wurde.

Auch Präsident Carter war zu sehr von den geostrategischen Zielen der US-Herrschaft im Mittleren Osten bestimmt, als dass er eine dauerhafte Friedenslösung unter Einschluss der Palästinenser konzipieren konnte. Daran scheiterte schließlich auch das Camp-David Abkommen vom September 1978, welches zwar den israelischen und ägyptischen Präsidenten Begin und Sadat den Nobelpreis einbrachte, aber keine weitere Friedensperspektive für den Nahen Osten eröffnete. Das Abkommen stand nicht nur im Widerspruch zum Völkerrecht. Es wurde durch die arabischen Länder auf ihrer Konferenz im November 1978 Bagdad ebenso abgelehnt wie durch die UNO auf der 33. und 34. Generalversammlung vom Dezember 1978 und November 1979. Die zentrale Kritik der Ablehnung galt der Nichtbeteiligung der PLO. Und es kam wie es kommen musste. Schon vor dem Abkommen von Camp David waren israelische Truppen im März 1978 nach Absprache mit Washington in den Libanon eingedrungen, um einen möglichst großen Teil der PLO zu liquidieren. Es folgten die Invasionen von 1980 und 1982 bis zum Massaker von Sabra u Schattila. In Israel verschärfte die Likud-Regierung unter Begin und Sharon durch Terroranschläge gegen palästinensische Bürgermeister die Situation, so dass die Unruhen in den Jahren von 1980 – 82 eskalierten. Nicht unwesentlich trug dazu die offizielle Annexion Jerusalems und die Ausrufung als israelische Hauptstadt im Frühjahr 1980 bei. Die zahlreichen Resolutionen der Generalversammlung sowie des Sicherheitsrates der UNO gegen die Politik des Likud-Blocks ließen es an Deutlichkeit nicht fehlen,[8] konnten die israelische Regierung jedoch nicht beeindrucken. Selbst die USA übten nur Stimmenthaltungen bei der Verurteilung der Annexion Jerusalems.[9]

Die Ausweglosigkeit des palästinensischen Elends und die Fruchtlosigkeit des passiven Widerstands angesichts einer ungezügelten Siedlungspolitik entluden sich schließlich im Dezember 1987 in der Intifada. Die UN-Generalversammlung hatte gerade wieder diese Politik für null und nichtig erklärt und eine internationale Friedenskonferenz mit der Beteiligung der PLO gefordert. Ein Jahr später ist das ganze Ausmaß der Repression auf der einen und der Verzweiflung auf der anderen Seite sichtbar, was die Generalversammlung zu einer Reihe immer schärfer formulierten Resolutionen veranlasste. So heißt es in der Resolution 43/21 vom 3. November 1988: „Die Generalversammlung, in Kenntnis des seit dem 9. Dez. 1987 andauernden Aufstands (Intifada)…1. verurteilt Israels beharrliche Politiken und Praktiken, die eine Verletzung der Menschenrechte des palästinensischen Volkes in den besetzten palästinensischen Gebieten einschließlich Jerusalems darstellen, und insbes. Handlungen wie die Eröffnung des Feuers durch die israelische Armee und israelische Siedler, als deren Folge wehrlose palästinensische Zivilisten getötet und verwundet wurden, Prügeln und Knochenbrechen, die Ausweisung palästinensischer Zivilisten, die Auferlegung restriktiver wirtschaftlicher Maßnahmen, die Zerstörung von Häusern, kollektive Bestrafung und Massenverhaftungen sowie die Verweigerung des Zugangs zu den Medien…3. bekräftigt, dass die seit 1967 von Israel vorgenommene Besetzung der palästinensischen Gebiete, einschließlich Jerusalems, nichts an der Rechtsstellung dieser Gebiete geändert hat….4. verlangt, dass die Besatzungsmacht Israel des IV. Genfer Abkommen vom 12. August 1949 zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten ab sofort genauestens einhält und umgehend von ihren Politiken und Praktiken ablässt, die gegen dieses Abkommen verstoßen.“

3. Die neue Rolle der UNO bei der Entstehung eines palästinensischen Staates

An dieser Situation hat sich strukturell nichts geändert. Alle von großen Erwartungen und Hoffnungen getragenen Konferenzen und Abmachungen, ob Oslo I von 1991/1993, Oslo II von 1995, Camp David, Taba oder Annapolis – sie scheiterten alle an der Kompromisslosigkeit der israelischen Regierungen, die die palästinensischen Gebiete nicht aus der Besatzung entlassen wollten. Zudem verweigerten sie der UNO jegliche Beteiligung an der Suche nach einer Friedenslösung. Palästina blieb faktisch ein völkerrechtsfreier Raum, wo die Gewalt beliebig herrschte.

Vor diesem Hintergrund vermag auch die neue Initiative des PLO-Chefs, die UNO mit einem Mitgliedsantrag wieder ins Spiel zu bringen, keinen allzu großen Optimismus zu entfachen. Es ist daran zu erinnern, dass die PLO bereits 1988 den palästinensischen Staat ausgerufen hat, der seinerzeit allerdings von lediglich 50 Staaten anerkannt wurde. Jetzt geht es um seine Aufnahme in die UNO. Die US-Regierung hat bereits ihre Ablehnung signalisiert und kann den Antrag mit ihrem Veto im Sicherheitsrat stoppen. Denn gem. Art. 4 Abs. II UN-Charta hat dem Beschluss der UN-Generalversammlung (Art. 18 Abs. II UN-Charta, mit einer 2/3 Mehrheit) eine Empfehlung des Sicherheitsrats vorauszugehen, die die Zustimmung oder Stimmenthaltung aller fünf Veto-Mächte bedarf. Der Internationale Gerichtshof hat bereits 1950 das Initiativrecht des Sicherheitsrats inklusive Veto aufgrund seiner besonderen Verantwortung für den Weltfrieden bekräftigt.[10] In der PLO werden derzeit Überlegungen angestellt, diese Barriere des Sicherheitsrats mit einer Resolution der Generalversammlung auf der Basis der Uniting-for-Peace Resolution 377 (V) von 1950 zu überwinden. Der entscheidende Satz in der Resolution heißt: „ if the Security Council, because of lack of unanimity of the permanent members, fails to exercise its primarily responsibility for the maintenance of international peace and security in any case where there appears to be a threat to the peace or act of aggression, the General Assembly shall consider the matter immediately with a view to making appropriate recommendations to Members for collective measures, including… the use of armed forces.” Es wird also zu begründen sein, dass ein Veto der USA gegen die Empfehlung, einen Staat Palästina in die Vereinten Nationen aufzunehmen, dem Sicherheitsrat als Scheitern vorgeworfen werden kann, seiner Verantwortung für die Aufrechterhaltung des Friedens und der Sicherheit nachzukommen.  Dies hängt davon ab, ob die Verweigerung der Aufnahme in die UNO eine Bedrohung des Friedens oder einen Akt der Aggression bestehen lässt oder gar heraufbeschwört. Angesichts der gegenwärtigen völkerrechtswidrigen Besatzung des zukünftigen palästinensischen Staatsgebietes, die permanent Gewalt, Terror und Akte der Aggression erzeugt, kann die Aufnahme in die UNO durchaus als Versuch gewertet werden, Frieden und Sicherheit in der Region herzustellen. Die Verhinderung der Mitgliedschaft bedeutet auf jeden Fall die Fortdauer der Besatzung und damit auch die Fortdauer einer Situation, die eine Bedrohung des Friedens mit immer wiederkehrenden Akten der Aggression darstellt. So plausibel demnach zu begründen ist, dass die UN-Generalversammlung  mit der Uniting-for-Peace Resolution die Entscheidung über die Aufnahme Palästinas in die UNO auch ohne Empfehlung des Sicherheitsrats treffen könnte, so deutlich muss man sich jedoch auch vor Augen halten, dass diese Entscheidung eine primär politische ist, die von anderen Kriterien als der juristischen Begründbarkeit abhängt.

Die Gründung eines unabhängigen souveränen palästinensischen Staats ist offizielles Ziel der US-amerikanischen Nah-Ost Politik. Zu diesem Ziel hat sich auch die israelische Regierung von Ministerpräsident Netanyahu und Außenminister Liebermann bekannt. Doch ihre faktische Politik des Siedlungsbaus und des Landraubs ist diesem Ziel direkt entgegengesetzt. Die israelische Regierung akzeptiert nicht die Grenzlinie von 1967, die Moshe Dajan selbst 1948 mit einem grünen Stift als Waffenstillstandslinie zwischen Israel und Jordanien in die Landkarte eingezeichnet hatte. Sie ist seitdem die Linie, die die PLO als Grenze bei der Proklamation ihres Staates 1988 und der damit verbundenen Anerkennung des Staates Israel anerkannt hat. Sie ist allerdings heute auf keiner im öffentlichen Handel in Israel befindlichen Landkarte zu finden und wird von der Regierung Netanyahu nicht anerkannt: sie entspreche nicht dem Sicherheitsbedürfnis Israels und den faktischen Veränderungen durch jüdische Siedlungen seitdem. Die strittige Grenzfrage verweist nur auf das Kernproblem, welches Territorium für einen palästinensischen Staat noch übrig bleibt. Dieses ist in der Tat nicht mehr als ein zusammenhängendes und lebensfähiges Staatsgebiet auszumachen. Der Verlust des Territoriums hat die alte Option eines einzigen, beide Völker umfassenden , demokratischen und säkularen Staates wiederbelebt, die bereits 1947 die arabische Alternative zum Teilungsplan der UNO war. Diese Variante findet nicht nur in palästinensischen Kreisen trotz der UNO-Initiative von Mahmud Abbas wieder mehr Anhänger, sondern auch bei jüdischen Intellektuellen.

Das zentrale Argument gegen diese Option ist die Befürchtung, dass damit der jüdische Staat als Zufluchtsstätte für die Jüdinnen und Juden in der Welt verschwinde. Unausgesprochen wird damit unterstellt, dass in einem Staat mit arabischer Mehrheit die Sicherheit der jüdischen Bevölkerung nicht gewährleistet sei. Das widerspricht zwar wiederholten Äußerungen von arabischer Seite, ist jedoch als psychologischer Hintergrund israelischer Politik ernst zu nehmen. Israelische Sicherheitspolitik fordert demnach von den Palästinensern nicht nur den Verzicht auf Kerngebiete jüdischer Siedlungen wie Ariel, Maale Adumim und Gush Etzion, sondern auch die zukünftige militärische Oberhoheit über das Jordantal, das fruchtbarste Agrargebiet der Westbank. Sicherheit in israelischer Definition ist also nur bei weitgehendem territorialen Verzicht und Aufgabe der Souveränität eines palästinensischen Staates denkbar – eine Zumutung, die keine palästinensische Führung akzeptieren kann. Die grundsätzliche Frage ist auch, ob sechzig Jahre nach Gründung des jüdischen Staates der seinerzeit aus der kolonialen Situation verständliche Sicherheitsbegriff heute noch zutrifft. Er setzt eine Staatsordnung voraus, die, gleichgültig wie sich die demographische Verteilung zwischen jüdischer und arabischer Bevölkerung in Israel entwickelt, die jüdische Dominanz festschreibt – ein Prinzip, welches nicht nur einer demographischen Ordnung radikal widerspricht, sondern auch keine Sicherheit garantieren kann. So entsteht zwangsläufig ein Apartheidsystem, wie es von vielen schon jetzt in Israel diagnostiziert wird.

Generell gilt, dass die jüdische Gesellschaft, ob in einem jüdisch-arabischen oder in einem eigenen Staat neben einem palästinensischen, ihre Sicherheit weder mit neuen territorialen Eroberungen noch mit politischer Mehrheitsherrschaft erreichen wird. Solange sich die israelische Politik nicht von ihren kolonialen Wurzeln der Landnahme und Vertreibung aus der Gründungszeit emanzipiert und sich in die arabische Umgebung auf der Ebene der Gleichheit und wechselseitigen Anerkennung integriert, wird sie ihr Umfeld immer als Bedrohung empfinden. Keine noch so deutliche militärische Überlegenheit wird sie aus dieser Umklammerung befreien. Es spricht sogar einiges dafür, dass dieses in einem einzigen, multiethnischen, säkularen und demokratischen Staat besser gelingt. Ein ausschließlich jüdischer Staat, wie er von der Regierung Netanyahu/Liebermann propagiert wird, birgt nach innen die Gefahr der Diskriminierung anderer religiöser Gruppen bis hin zur Apartheid und  der Erosion der demokratischen Herrschaft in sich. Nach außen droht die permanente Konfrontation mit dem zivilisatorischen Gegner, die periodisch in kriegerische Zwischenfälle und ausländische Interventionen ausartet. Sechzig Jahre nach Gründung des Staates Israel ist das Konzept des ausschließlich jüdischen Staates – übrigens das einzige Modell eines religiösen Staates neben dem Vatikan – nicht mehr die adäquate Form zur Befriedigung von Sicherheitsbedürfnissen, wenn es denn wirklich um Sicherheit geht. Die jüdische Gesellschaft ist selbst eine multiethnische, die offensichtlich weniger die gemeinsame Religion als die Projektion auf den vermeintlichen Feind eint. Eine Politik über Netanyahu/Liebermann hinaus müsste die Revolutionierung der arabischen Welt um sich herum positiv aufnehmen und ihre eigene Stellung in dieser Welt vollkommen neu bestimmen. Leider gibt es dafür von den Schutzmächten Israels, den USA und den EU-Staaten, keine Hilfestellung. Sie sind offensichtlich der Überzeugung, dass eine Politik ständiger Konfrontation ihren Interessen in der arabischen Welt besser dient. Auch sie stecken noch tief in der kolonialen Vorstellungswelt des vergangenen Jahrhunderts.


[1] Vgl. IGH Gutachten „Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territories”, ICJ Reports 2004.

[2] Die folgenden Ausführungen beruhen weitgehend auf meinem Artikel „Das Palästina-Problem vor den Vereinten Nationen“, EMS, Informationsbrief Naher Osten 6/1998 S. 10 – 16.

[3] Vgl. Maxime Rodinson, Israel and the Arabs, London 1969, S. 74 ff. sowie die Resolutionen 997, 99 und 1002 der ersten Sonderkonferenz der Generalversammlung vom November 1956.

[4] UNGV Res. 181 (II) (33 Ja-, 13 Neinstimmen, 10 Enthaltungen).

[5] Am 11. Mai 1949 wurde Israel als „peace loving State which accepts the obligations contained in the Charter and is able and willing to carry out those obligations“ in die UNO aufgenommen, UNGV Res. 273 (III). Die immer wieder gehörte Meinung, die UNO habe Israel geschaffen, ist allerdings falsch. Die Generalversammlung ist zu einem solchen Akt nicht befugt.

[6] Vgl. etwa H. Ch. Rößler, Die Renaissance der Grünen Linie, in: FAZ v. 29. Juni 2011, S. 8.

[7] Vgl. N. Paech, G. Stuby, Machtpolitik und Völkerrecht in den internationalen Beziehungen, Hamburg 2001, Rz. 163 f., S. 492 ff., Rz. 187 ff. S. 500 ff.

[8] Vgl. z.B. UNSR Resolution 465 (1980) v. 1. März 1980; Resolution 467 bis 469 von. April und Mai 1980). UNGV Res. 35/122 v. 11. Dezember 1980; Res. 35/169 v. 15. Dezember 1980; Res. 36/147 v. 16. Dezember 1981 etc.

[9] UNSR Res. 476 (1980) v. 30. Juni 1980; Res. 478 v. 20. August 1980.

[10] Vgl. Competence of the General Assembly for the Admission of a State to the United Nations, ICJ Reports 1950, 1, 8-10.

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Thema: Historisches, RechtInternational

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