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VDJ-Konferenz 2010: Christoph Krämer – “Alternativen zum Militärischen”

Montag, 29. November 2010 | Autor: hfe | Diese Seite als PDF herunterladen

von Christoph Krämer (IPPNW-Deutschland):

[der nachfolgende Beitrag ist der vierte Vortrag auf der diesjährigen, gemeinsam mit IALANA und EJDM organisierten VDJ-Konferenz zum Thema "Menschenrechte als Interventionsgrund", welche am 23.10.2010 in Berlin anlässlich der Verleihung des Hans-Litten-Preises an die honduranische Richterin Tirza Flores Lanza stattfand. Er zeigt basierend auf einer grundsätzlichen und anhand zeitgeschichtlicher Beispiele explizierten Kritik Alternativen zu militärischen Interventionen auf. Der Beitrag ist leider nur als Skript des Power-Point-Vortrages verfügbar.]

“Alternativen zum Militärischen”

Interventionsmöglichkeiten der Internat. Gemeinschaft bei schweren MR-Verletzungen

Skript

Das Problem

•  Existenz schwerer Menschenrechtsverletzungen ist unstrittig

•  Ausmaß des Problems nimmt zu*

•  Hintergrund:
immer mehr instabile Staaten (”failing states”), die durch neoliberale
Globalisierung + westliche Hegemonie in die Enge getrieben werden

• Effekt:
äußerer Druck (meist unerkannt / nicht thematisiert) schürt innere Konflikte:
- Legitimationskrise der polit. Eliten
- Konflikt-Verlagerung auf ethnische Ebene

aktuelle Beispiele für MR-Verletzungen in großem Stil

•  DR Kongo:
Bürgerkrieg mit inzwischen ~5 Mio. Toten (Zahlen variieren stark)
- Massenvergewaltigungen als Waffe

Sudan:
Bürgerkriege seit fast 50 Jahren – Hauptkonflikte:
- um den Süd-Sudan (~2 Mio. Tote + 4 Mio. Flüchtlinge / Vertriebene)
- seit 2003 auch um Darfur (~300.000 Tote + 2,7 Mio. Flüchtlinge)

•  Kirgisien:
– Instabilität mit Gewaltausbrüchen + Repression seit 2005 (”Tulpenrevolution”)
- Krise seit 2010 (Gewalt gegen und Massenflucht von Usbeken)

•  Pakistan
Afghanistankrieg greift zunehmend auf das Land über, zunehmend “gezielte
Tötungen” durch ausländische Flugroboter (”Drohnen”)

Wenn freilich der Weiße Mann Krieg führt, werden die Kollateralschäden von Völkerrechts- und Kriegsvölkerrechtsverletzungen nicht als “Menschenrechtsverletzungen” geführt.

Beispiele:

Irak-Krieg:
- seit 2003 vermutlich > 1 Mio. Tote (bis heute keine offizielle Zahl verfügbar)
- Wikipedia-Artikel “Irak” ist ihne Stichwort “Menschenrechte”…

Israel / Palästina:
– Land- und Wasserraub, Häuserzerstörungen, gezielte Tötungen…
- Gaza-Blockade und -Krieg 2009 mit massiver Schädigung der Zivilbevölkerung

•  Kolumbien:
Idee einer bewaffneten internat. Intervention kam bisher noch nie auf, da die
größte Tätergruppe (die Paramilitärs) eng mit der mit den USA verbündeten
Regierung verbunden ist.

aktuelle Interventionsforderungen aus der Zivilgesellschaft

•  DR Kongo:
Viele MR- und Hilfs-NGOs befürworten zumindest die MONUC
und haben die EUFOR-Einsätze gutgeheißen.

•  Sudan:
Interventionsforderungen sind in den letzten Jahren vielfach laut geworden, u.a. von Amnesty. Inzwischen ist wieder mehr Vorsicht spürbar.
Oxfam fordert in einer aktuellen gemeinsamen Studie mit anderen Hilfsorganisationen eine bevorzugte Unterstützung des Süd-Sudan, incl. seiner Militär- und Polizeikräfte…

Geschichte des Strebens nach humanitär begründeten Militärinterventionen

Ruanda: der Völkermord von 1994

Der Bürgerkrieg in bzw. um Ruanda eskalierte 1994 in einen Völkermord der regie­renden Hutu-Mehrheit an der Tutsi-Minderheit und mit ihnen verbündeten Hutu, dem binnen weniger Wochen fast 1 Million Menschen zum Opfer fielen. In der Folge siegten die Tutsi-geführten RPF-Rebellen

Verhalten der UNO:

Generalleutnant Dallaire, kanad. UNAMIR-Kommandeur über seine Situation in Ruanda im Frühjahr 1994:

“Die Briten, die sich von den Amerikanern nicht in den Schatten stellen lassen wollten, boten 50 Bedford-LKW an – ebenfalls nur gegen eine beträchtliche, im Voraus zu begleichende Summe. Der Bedford ist ein Lastwagen aus den frühen Tagen des Kalten Krieges, der im Jahr 1994 nur noch für das Museum taugte. Als man mir dieses “äußerst großzügige” Angebot mitteilte, fragte ich sarkastisch: ‘Aber fahren tun sie doch noch, oder?’ worauf ich als Antwort zuerst Schweigen erntete, bis dann die Erwiderung folgte: ‘Ich überprüfe es und rufe Sie dann zurück.’ ”

aus Roméo Dallaire: Handschlag mit dem Teufel (Frankfurt/M. 2005), S.431

Das Blauhelmkontingent von 2.500 Mann wurde in der Folge bis auf 270 restliche fast vollständig abgezogen.

die Rolle der NGOs:

MSF (Médecins Sans Frontières = Ärzte ohne Grenzen) – nach eigenem Bekunden “weltweit größte nichtstaatliche Organisation für med. Nothilfe”, veröffentlichte 1993 unter dem Titel “Helfer im Kreuzfeuer – humanitäre Hilfe und militärische Intervention” (Paris 1993 / deutsch: Dietz, Bonn 1993) erstmals einen Jahresbericht unter dem Reihentitel “Völker in Not”, der sich gleich in dieser ersten Ausgabe mit dem Problem zunehmender humanitärer Katastrophen und der Frage der militärischen Intervention zu ihrer Eindämmung befaßte. In der dritten Ausgabe (1995) wird u.a. die Erfahrung aus Ruanda 1994 reflektiert und unter besonderer Fokussierung auf den Begriff des Völkermordes und mit Bezugnahme auf den historischen Nazi-Ethnizismus das Argu­mentationsmuster entwickelt, das wenig später von der NATO und ihren Exponenten wie Joschka Fischer benutzt wurde, um den Krieg 1999 gegen Jugoslawien zu rechtfertigen (der letztlich zum “Regime Change” in Belgrad und zur Zerschlagung Jugoslawiens führte).

Reaktionen der UNO:

Sie erfolgten in mehreren Schritten –

wichtig war v.a. der “Responsibility to Protect” (r2p) –Ansatz von 2001:

1999 und erneut im Jahr 2000 beim Millenniumsgipfel richtete Kofi Annan einen Ap­pell an die Internationale Gemeinschaft zu versuchen, “ein für allemal” einen neuen Konsens zur Frage der militärischen Intervention zum Schutz von Menschenrechten zu finden. Hierauf gestützt wurde unter Federführung der Kanad. Regierung die ICISS gegründet (International Commission on Intervention and State Sovereignty), die 2001 ihren Report “The Responsibility to Protect” veröffentlichte und der UNO vorstellte. Ziel war eine faktische Änderung des Völkerrechts durch Uminterpretation des in der UN-Charta als einer ihrer beiden Kerne festgeschriebenen Prinzips der nationalen Souveränität (die nur noch gelten sollte, wenn solange ein Staat seine Bürger vor schweren Menschenrechtsverletzungen schützen könne).

s.a. Vortrag Prof. Paech

die NATO: die Zerschlagung Jugoslawiens 1999

Hintergründe:
Ruanda 1994

Bild des Geschehens in der “Weltöffentlichkeit”:

Dominiert von Sichtweisen wie zB. von Human Rights Watch verbreitet:
Menschen, die sich entschieden hatten, Böses zu tun.
Alison Des Forges: Kein Zeuge darf überleben – der Genozid in Ruanda (HRW 1999 / deutsch 2002)

Diese Sicht beantwortet freilich nicht die Frage:

Warum eine derartige Katastrophe gerade in Ruanda?
Oder provokant gefragt:

Sind Ruander besonders böse? Oder speziell Hutu?

3 begünstigende Kausalfaktoren:

koloniales Erbe
Deutscher Kolonialismus benutzte Tutsi als Statthalter.
Durch Belgien (nach 1918) Ausweise mit ethnischer Zuordnung:
“Tutsi” für bessergestellte Viehbesitzer, “Hutu” für arme Bauern…
Nach Selbständigwerdung 1962 flohe viele Tutsi, u.a. nach Uganda.

Stellvertreterkrieg  (USA / Frankreich)
Ziel: stabiles US-Standbein in Afrika
USA bewaffneten, trainierten und finanzierten Tutsi-Rebellenarmee in Uganda,
Frankreich (als Postkolonialmacht) die Hutu-dominierte Regierung.
Beim Einmarsch der Rebellen 1994 verhinderten sie (beide ständige Mitglieder des
Weltsicherheitsrates!) eine effektive Einmischung von außen.

neoliberale Globalisierung (> Verelendung + soziale Deklassierung)
Vorsätzl. Verschuldung + dann erzwungene “Strukturanpassung” > soziale Katastrophe:
Existenzvernichtung vieler Bauern, Massenarbeitslosigkeit v.a. der Jugend und Abbau
von staatlichen Bildungs- und Ordnungsstrukturen.
IWF + Weltbank kappten Geld für Schulen u. Krankenhäuser, aber nicht für die Waffenströme.

Diese Faktoren gelten für “Failing States” generell (in unterschiedl. Gewichtung.

Hintergründe:
Problematik von “Responsibility to Protect”

1. Missbrauchspotenzial bzgl. Eigeninteressen:

Wer heute einen Krieg beginnen will, hat dafür 2 Legitimationsmöglichkeiten:

- Terrorgefahr

- Menschenrechte

ggf. auch in Kombination.  Bspe.: Jugoslawien 1999, Afghanistan 2001, Irak 2003

2. Ignorierung des Stellvertreterkriegs-Problems

Afghanistan: > 30 Jahre Stellvertreterkrieg in einem der ärmsten Länder der Erde

3. Ignorierung der großen Akteure als Verursacher – Beispiele:

Irak: seit 2003 vermutl. > 1 Million Tote
(Gilbert Burnham, Les Roberts et al., The Lancet 2006) – offizielle Zahl existiert nicht!

4. Pervertierung der ökonomischen Analyse:

Propagierung des neoliberalen Ansatzes als Teil der Lösung statt als wesentlicher
Teil des Problems

Hintergründe:
Beispiel Kongo

1. besonders brutale Kolonialisierung (durch Belgien - “Kongo-Gräuel”), flankiert
durch christl. Missionierung > Zerstörung emanzipativer u. moralischer Infrastruktur

2. Sturz Lumumbas gleich 1960 (mit US-Hilfe), Ermordung 1961 (unter belg.
Kommando) + Ersatz durch >30-jähriges Marionettenregime (Mobutu)
> de facto Perpetuierung der Kolonialbedingungen

3. 1990er-Jahre: Ausdehnung des Ruanda-(Stellvertreter-)Krieges auf das Land

4. Heute ist das Land Spielball anderer Länder und ihrer Armeen (v.a. Ruanda,
Uganda, EU, USA) sowie von Milizen, Rebellengruppen und Konzernen

5. Weiteres Hauptproblem ist die weiterhin kaum gebremste Waffenzufuhr von fast
allen Seiten, einschließlich Europa und den USA.

Hintergründe:
Beispiel Sudan

1. Ursprung der heutigen Konflikte ist v.a. die koloniale Grenzziehung.

2. Das Sezessionsstreben des rohstoff-(Öl-)reichen Südens wurde
durch westliche Mächte über Jahrzehnte angeheizt -
bringt aber existentielle Bedrohung für den rohstoff-armen Norden.

3. Das deutsche Milliardenprojekt einer Eisenbahn vom Süd-Sudan
über Kenia an den Indischen Ozean eskalierte Anfang der 2000er  den Konflikt.

4. Heute wird er vor allem durch den versteckten Kampf gegen China
geschürt, das sich zunehmend wirtschaftlich und politisch in Afrika  engagiert.

Karte der Öl- und Gas-Konzessionen im Sudan

Karte der Öl- und Gas-Konzessionen im Sudan - http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/ad/Sudan_Map_Oelgas.png

Konsequenzen
aus dieser Analyse:

A.  grundsätzliche Schlußfolgerungen, Ziele und Forderungen

B.  konkrete Ansätze

Konsequenzen:
A.  Grundsätzliches

1. Das Problem in den betroffenen Ländern ist nicht ein Zuwenig,
sondern ein Zuviel an Intervention
von außen.

2. Eigeninteressen und Stellvertreterkonflikte identifizieren -
und vor allem die Rolle Deutschlands, der EU und unserer Bündnisse (NATO)
und Verbündeten (USA).

3. Sie öffentlich machen und in sie intervenieren – im eigenen Land!
(Problem: rechtzeitige Information / Transparenz!)

4. Bei drohendem Völkermord – nach Ausschöpfung von 2. + 3.! – nötigenfalls
gewaltlose Akut-Sanktionen durchführen.
(z.B. nach Artikel 41 der UN-Charta – Waffen- und Finanztransaktionen sollten
hierbei noch stärker in den Blick genommen werden)

5. Die UNO muß demokratisiert werden, wenn sie nicht nachhaltig diskreditiert
werden soll!

Konsequenzen:
Art. 41 UN-Charta

Der Sicherheitsrat kann beschließen, welche Maßnahmen – unter Ausschluss von Waffengewalt – zu ergreifen sind, um seinen Beschlüssen Wirksamkeit zu verleihen; er kann die Mitglieder der Vereinten Nationen auffordern, diese Maßnahmen durchzuführen. Sie können die vollständige oder teilweise Unterbrechung von Wirtschaftsbeziehungen, des Eisenbahn-, See- und Luftverkehrs, der Post-, Telegraphen- und Funkverbindungen sowie sonstiger Verkehrsmöglichkeiten und den Abbruch der diplomatischen Beziehungen einschließen.

Konsequenzen:
B.  konkrete Ansätze

Die Waffenflüsse effektiv stoppen + die eigene Produktion reduzieren:
Durchsetzung bereits geltenden Rechts + Schaffung zusätzlicher rechtlicher Voraus-setzungen – s. Empfehlungen aus ‘Democratic Republic of Congo: Arming the East’, Amnesty International 2005, samt Annex >Global Principles for Arms Transfers<

www.amnesty.org/en/library/info/AFR62/006/2005

Der humanitären Bemäntelung von Interessenpolitik in den Parlamenten entgegentreten – und sich nicht selbst dafür intrumentalisieren lassen:
Krieg schafft keinen Frieden – und auch keine Menschenrechte!

Wichtige Akteure in den politischen Prozeß einbinden,
anstatt sie davon auszuschließen!

Vom Primat des neoliberalen Wirtschaftsdogmas (WTO) abrücken -
das Staaten bei der Regelung wichtiger anderer gesellschaftlicher Belange knebelt
und schwächeren (gerade auch staatlichen) Akteuren das Existenzrecht raubt!

konkrete Beispiele
in Vergangenheit und Gegenwart

Ruanda 1994 – Schritte, die die Eskalation hätten verhindern können:

- Aufdecken + Anprangern der Großmächte + ihrer Interessen hinter den Kulissen
des Krieges

- Stoppen der Ausgaben für Waffen durch IWF + Weltbank statt derjenigen für zivile
Aufgaben
- Störung des Senders RTLM, der schon Wochen vor Beginn den Völkermord
propagierte

- Einflußnahme Roms auf die zahreichen Geistlichen in Ruanda, die den Vm.
unterstützten…

Kongo heute:

- Umsetzung der Amnesty-Empfehlungen und -Forderungen zum Waffenhandel

- IPPNW-Kleinwaffenprojekt macht Lobbying innerhalb im Kongo + in Nachbarländern

- Schaffen einer Transparenzpflicht für den Handel mit Krisenregionen – nicht nur
bzgl. Waffen,
sondern auch bzgl. strategischen Ressourcen (Coltan, Germanium, Diamanten…)

Israel / Palästina:

- KSZMNO-Projekt (Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im  Mittleren und
Nahen Osten) mit Beginn auf zivilgeselllschaftlicher Ebene

Fazit:

Bitte entschuldigen Sie die sicher etwas unspektakulär wirkenden Vorschläge!

Sehr gerne hätte ich einen “Deus ex machina” angeboten -
wenn schon (als Mitglied der Friedensbewegung) keinen militärischen, dann wenigstens einen polizeilichen, der die uns zu Recht quälenden vielen schweren Menschenrechts-verletzungen schnell und effektiv stoppt!

Als Arzt kenne ich das –

meine Patienten wollen auch immer eine Spritze, die sofort hilft.

Oder noch besser: Eine Operation, die das Übel bis zur Wurzel austilgt.

Nur:

Jetzt brauchen wir erst mal ein bißchen Übersicht, Eindämmung der bereits angerich-teten Schäden – und eine umsichtige und sorgsame Therapie des ganzen Patienten.

Als Chirurg

verwahre ich mich im übrigen gegen den Unsinn des Begriffes “chirurgischer” Militäroperationen!

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Thema: RechtInternational, Staat Demokratie BürgerInnenrechte

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