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Die Last mit dem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein nach Art. 1 Abs.1 GG am Beispiel der Hartz-IV Sätze für Familien und Alleinerziehende

Donnerstag, 8. September 2011 | Autor: hfe | Diese Seite als PDF herunterladen

Anmerkungen zur Reform von Hartz IV, insbesondere zur Einführung von Bildungsgutscheinen für Kinder und den Berechnungskriterien bei der Hartz-Reform vor dem Hintergrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2010

von Manfred Hanesch

Mit dem Paukenschlag der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 09. Februar 2010 (1 BvL 1, 3 u. 4/09) stand die Frage im Blickpunkt der öffentlichen Diskussion, über welche Leistungssätze Familien und Alleinerziehende und deren Kinder nach dem SGB II müssen, um nicht als arm zu gelten. Einerseits war diese Diskussion geprägt von der Erkenntnis, dass Familien und Alleinerziehenden für ihren täglichen Bedarf noch nicht einmal das Notwendigste für ihr durch die Entscheidung grundrechtlich zugesichertes Existenzminimum erhalten und eine Teilhabe an dem öffentlichen Leben insbesondere für Kinder nach den gegenwärtigen Sätzen nicht möglich ist. Andererseits wurde vor der Einführung der entsprechenden Bedarfssätze aus Angst vor spätrömischer Dekadenz gewarnt, sofern man jedem Anspruchsteller die für sein sozioökonomisches Existenzminimum notwendigen finanziellen Mittel im Rahmen der §§ 20 und 28 SGB II zur Verfügung ohne die Forderung nach den notwendigen Eigenleistungen in Form der Stellenbewerbungen stellt. Worum geht es in der eingangs zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts?

Die BezieherInnen von Leistungen nach den §§ 20 und 28 SGB II erhalten für ihren Lebensbedarf eine Regelleistung zur Sicherung ihres Lebensunterhalts, also einen bestimmten Geldbetrag in Form eines Regelsatzes, der ihnen die Sicherstellung ihrer Bedürfnisse nach Ernährung oder Kleidung u. a. ermöglichen soll. Unter Rückgriff auf die Regelung des § 27 Abs.1 S.2 SGB XII als Auslegungsmaßstab gehören zu diesem Lebensbedarf auch diejenigen Mittel, die zu den persönlichen Bedürfnissen des täglichen Lebens in vertretbaren Umfang auch die Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellem Leben ermöglichen sollen. Mit dem Regelsatz nach den §§ 20 und 28 SGB II soll also in vertretbarem Umfang die Teilhabe an dem politischen und an dem kulturellen Leben sichergestellt werden. Hierzu gehören nach § 28 SGB II auch die nicht erwerbsfähigen Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft, also der Kinder bis 18 Jahren, die mit ihren Eltern zusammenleben. Ihnen soll gemessen an diesen Maßstäben ein adäquater Leistungssatz zufließen. Die Höhe dieser Sätze liegt  seit dem 01.01.2011 für Alleinstehende bei € 364,00. Lebt der/die AntragstellerIn mit einer/einem PartnerIn zusammen, erhalten er/sie und der/die PartnerIn nur einen Anteil von 90% dieses Regelsatzes. Die Kinder erhalten von dem Ausgangsregelsatz, der bis zum 31.12.2010 für Alleinstehende galt und bei einer Höhe von € 359,00 lag, bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres einen Anteil von 60% dieses Regelsatzes und ab dem 15. Lebensjahr einen Anteil von 80% dieses Regelsatzes. Als Maßstab für die konkrete Höhe des Regelsatzes für Kinder und Jugendliche wird nach dem 01.01.2011 der bis zum 31.12.2010 geltende Regelsatz für Alleinstehende von € 359,00 herangezogen.

Das hessische Landessozialgericht kritisierte in seinem Vorlagebeschluss an das Bundesverfassungsgericht vom 29.10.2008, Az.: L 6 AS 336/07, dass die Ermittlung dieser Leistungssätze nicht transparent sei. So dient für die Ermittlung dieses Leistungssatzes immer noch das Statistikmodell (§ 28 Abs.3 S.2 u. 3 SGB XII) als grundlegender Maßstab. Nach diesem Statistikmodell erfolgt die Regelsatzbemessung. Nach § 28 Abs. 3 S.2 SGB XII berücksichtigt die Regelsatzbemessung den Stand und die Entwicklung von Nettoeinkommen, VerbraucherInnenverhalten und Lebenshaltungskosten. Nach S. 3 dieser Vorschrift sind Grundlage die tatsächlichen, statistisch ermittelten Verbrauchsausgaben von Haushalten in unteren Einkommensgruppen. Die Datengrundlage bilden die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe. Die Bemessung wird nach dieser Vorschrift regelmäßig geprüft und weiterentwickelt.

Mit diesem Prinzip erfolgte auch zur Einführung des heutigen SGB II die Ermittlung der Bedarfssätze auf Basis des alten bis zum 31.12.2004 geltenden Bundessozialhilfegesetzes. Nach dem Statistikmodell wurden zunächst die Bedarfsätze ermittelt und der Neuregelung ab dem 01.01.2005, der Einführung des SGB II zugrunde gelegt. Die Grundlage bildete aber eine statistische Ermittlung des Lebensbedarfs aus dem Jahre 1998. Hieraus wurde zum Stichtag des 01.07.2003 der konkrete Bedarf hochgerechnet (mittels eines Zuschlags von 20%) und dem im Dezember 2003 vom Bundestag verabschiedeten SGB II zugrunde gelegt. Eine Korrektur der sich hieraus ergebenden Regelsätze wurde unter Hinweis auf den seit dem 01.07.2003 nicht mehr erhöhten Rentenwert in der gesetzlichen Rentenversicherung abgelehnt.

Diese Begründung des Gesetzgebers war systemwidrig, denn der Rentenwert, der der aktuellen Rentenberechnung nach dem SGB VI zugrunde gelegt wird, bestimmt sich aus dem Verhältnis der für den Rentenbeitrag heranzuziehenden Durchschnittseinkommen. Auf dieser Grundlage wird der durchschnittliche Rentenbeitrag ermittelt und in dem Versicherungsverlauf mit einem Entgeltpunkt von 1,0 berücksichtigt. Der Rentenwert wird auf dieser Basis gesetzlich festgelegt. Der aktuelle Rentenwert ist der Betrag, der einem Entgeltpunkt für die Ermittlung einer monatlichen Rente wegen Alters auf Basis dese Versicherungsverlaufs entspricht.

Die Bedarfssätze der Regelungen des §§ 20 und 28 SGB II werden weiterhin nach dem Statistikmodell errechnet. Bereits bei Einführung der Regelleistungen nach diesen Vorschriften wurde im Schrifttum die mangelnde Transparenz dieses Verfahrens gerügt. Zu bedenken ist auch, dass bereits zu diesem Zeitpunkt im Zuge der Einführung des SGB II infolge der Einführung des Minijobs und des Niedriglohnsektors das Einkommensniveau der Bevölkerung stark abgesunken und daher auch das Lohnabstandsgebot in Frage gestellt war. Nach diesem Gebot sollte der Empfänger der Regelleistungen weniger konsumieren können, als die untersten 20% der nach ihrem Nettoeinkommen für ihren Lebensbedarf auf Grundlage ihres Nettoeinkommens zur Verfügung steht.

Betroffen von der Einführung dieses Niedriglohnsektors waren überwiegen Alleinerziehende, dort vor allem alleinstehende, also in Trennung oder in Scheidung lebende Frauen mit ihren Kindern, die auf dem offenen Arbeitsmarkt über keine oder unzureichende Stellenangebote verfügten. Hinzukommt, dass diese Arbeitnehmerinnen auf Grund der Tatsache der Kinderbetreuung oft auch nur in Teilzeit arbeiten können und damit gezwungen werden, über die Leistungen nach dem SGB II ihren Lebensbedarf und den Lebensbedarf ihrer Kinder sicherzustellen. Der von Seiten des Gesetzgebers gedachte Ansatz, alleinerziehenden Frauen ein Abrutschen in Armut zu ersparen, verkehrt sich auf Grund dieser Rahmenbedingungen in sein Gegenteil. Für den Fall des Leistungsbezugs oder bei Aufstocken eines Niedriglohns über die Regelleistungen rutschen diese weiter in die Armut. Die Regelsätze ermitteln sich nun ironischerweise über das Statistikmodell nach dem Lebensbedarf der Alleinstehenden als Angehörige aller Nettoverdiener. Damit ergibt sich die für alleinstehende Mütter noch prekärere Situation, dass nach diesem Modell ihr konkret abzudeckender Lebensbedarf ohne Berücksichtigung ihres besonderen Lebensbedarfs nach dem Bedarf Alleinstehender ermittelt wird. Hierdurch verringert sich der für sie zu berücksichtigende Lebensbedarf und führt unter Anwendung dieses Modells zu einem weiteren Abrutschen in Armut. Ein erster Schritt wäre hierbei, für die Alleinstehenden den Lebensbedarf zu ermitteln, hiervon getrennt aber den besonderen Lebensbedarf der allerziehenden Frauen mit Kindern, der im Rahmen des Regelsatzes abzudecken wäre. Mit dem Bildungspaket hätte hierzu eine Chance bestanden, wenn man die mit diesem Paket verbundenen Einzelleistungen konkret den anspruchsberechtigten Kindern im Rahmen des Regelsatzes zugebilligt hätte. Da aber diese Leistungen als Sonderleistungen gewährt werden, die nicht dem Lebensbedarf und damit den Regelsätzen zuzuordnen sind, rutscht diese Gruppe der Betroffenen unter dieser Anwendung des Statistikmodells noch weiter in die Armut ab.

Sollten sie Unterhalt und Kindergeld beziehen, wurden diese auf die SGB II Leistungen angerechnet und damit aufgebraucht. Vollzeitjobs standen diesen Betroffenen ebenso wenig zur Verfügung, sie wurden innerbetrieblich auf Grund ihrer Situation benachteiligt oder konnten diese schlichtweg auf Grund mangelnder Betreuungsmöglichkeiten nicht antreten. Auch das Elterngeld wird als Einkommen auf die Hartz-IV Leistungen angerechnet und stellt damit im Niedriglohnsektor keine Entlastung dar. An diesen Missständen hat sich nichts bzw. wenig geändert, von daher gelten diese Gruppen als besonders gefährdet. Es bleibt den Arbeitsvertrags- und Tarifvertragsparteien und den Betriebsräten vorbehalten, an dieser Situation etwas zu ändern. Sollten aber keine Mindestlöhne eingeführt oder die Minijobs angepasst und in sozialversicherungspflichtige Jobs umgewandelt werden, bleiben diese Alleinerziehenden weiterhin von dem Bezug von SGB II abhängig.

Ebenso wurde kritisiert, dass keine ausreichenden Erhebungen über den tatsächlichen Bedarf der Familien und Alleinerziehenden und deren Kinder für die Ermittlung dieser Sätze erfolgten, so dass es an der notwendigen Transparenz für die Ermittlung dieser Regelsätze fehlt. Die geltenden Sätze resultierten aus einem unzulässigen Vergleich mit den unteren Einkommensgruppen alleinstehender Erwerbstätiger, die als nicht Kinder betreuende Arbeitnehmer über einen anderen Lebensbedarf verfügten, als Familien und Alleinerziehende mit Kindern. Dieses belegt auch ein eigens vom hessischen Landessozialgericht eingeholtes Gutachten, das bei einer transparenten Ermittlung des konkreten Bedarfs zu einem anderen, wesentlich höheren Bedarf für diese Personengruppen kommt und damit den Rückschluss auf höhere Regelsätze zuließ.

Der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts lagen insgesamt 3 Vorlagebeschlüsse zugrunde. Neben dem oben genannten Vorlagebeschluss des hessischen Landessozialgerichts lagen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts noch 2 Vorlagebeschlüsse des Bundessozialgerichts vor.

Das Bundessozialgericht kritisierte in seinen Vorlagebeschlüssen vom 27.01.2009 – Az.: B 14 AS 5/08 R und B 14/11b AS 5/08 R die Höhe des Regelsatzes für Kinder von 60%, ohne dass der für Kinder maßgebliche Bedarf konkret ermittelt wurde, als einen möglichen Verstoß gegenüber Art. 3 I i. V. m. Art. 1, 6 Abs.2 und 20 Abs.1 GG. Ebenso, dass dieser Regelsatz pauschal für alle Kinder bis 14 Jahren gelten sollte, ohne nach weiteren Altersstufen und damit nach einem unterschiedlichen von der jeweiligen Altersstufe abhängigen Bedarf zu unterscheiden. Ebenso, dass die Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem § 20 SGB II abschließend und bedarfsdeckend sein sollte, während deren Kinder im Rahmen der Bedarfsgemeinschaft nach § 28 SGB II nur über einen anderen Bedarf verfügten, ohne diesen konkret zu ermitteln. Gemeint ist also, dass der tatsächliche Bedarf dieser Kinder nie ermittelt wurde und daher die Regelsätze entgegen den Vorgaben des § 28 Abs.3 SGB XII nur pauschal ermittelt wurden.

Das Bundesverfassungsgericht führte hierzu aus, dass der Gesetzgeber von dem Sozialstaatsgebot den Auftrag erhält, jedem ein menschenwürdiges Existenzminimum zu sichern. Hierbei steht ihm zwar ein Gestaltungsspielraum bei den Wertungen zu, die mit der Bestimmung der Höhe des Existenzminimums verbunden ist. Der gesetzliche Leistungsanspruch muss jedoch so ausgestaltet sein, dass es stets den existenznotwendigen Bedarf der individuellen GrundrechtsträgerInnen deckt und ihnen eine Teilhabe am politischen und kulturellem Leben ermöglicht. Diese Forderung an den Gesetzgeber hat das Bundesverfassungsgericht erstmalig als Grundrecht formuliert, das sich aus Art. 1 Abs.1 i. V. m. Art. 20 Abs.1 GG herleitet.

Der Gesetzgeber hat für die Ermittlung dieses Existenzminimums alle existenznotwendigen Aufwendungen in einem transparenten und sachgerechten Verfahren anhand des tatsächlichen Bedarfs zu ermitteln und zu bemessen. Das hierbei gefundene Ergebnis ist fortwährend zu prüfen und weiter zu entwickeln, um sicherzustellen, dass dieser Bedarf auch tatsächlich abgedeckt wird. Dieser kann sich auch kontinuierlich verändern.

Das in den Regelungen des § 28 Abs.3 S.2 und 3 SGB XII festgelegte Statistikmodell könne weiterhin die Basis für die Ermittlung des konkreten Bedarfs sein, der über den Regelsatz abzudecken ist. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass der individuelle Bedarf des Hilfebedürftigen in einzelnen Ausgabepositionen vom durchschnittlichen Verbrauch abweichen kann. Der Gesamtbetrag der Regelleistung soll aber ermöglichen, einen überdurchschnittlichen Bedarf in einer Position durch einen unterdurchschnittlichen Bedarf in einer anderen Position auszugleichen. Der Gesetzgeber muss deshalb die regelleistungsrelevanten Ausgabepositionen und –beträge so bestimmen, dass ein interner Ausgleich möglich bleibt. Die eingangs geschilderte aktuelle Ermittlung des Bedarfs und damit der Regelsätze nach §§ 20 und 28 SGB II beruht auf einer unzureichenden Ermittlung dieses Bedarfs – ebenso beruht die Ermittlung des Bedarfs für die Kinder bis zum 14. Lebensjahr auf einer unzureichenden Ermittlung deren konkreten Lebensbedarfs, so dass diese Regelsätze nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben genügten. Es fehlt zudem eine Regelung, die einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherstellung eines zur Deckung eines menschenwürdigen Existenzminimums unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen besonderen Bedarfs beruht. Ein gegenüber § 20 SGB II besonderer Bedarf, wie bei Kindern bis 14 Jahren, wird nicht ausreichend berücksichtigt.

Für das Bundesverfassungsgericht ist auf Grund der grundrechtlich geschützten Position der Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums die Einführung eines transparenten Verfahrens zur Ermittlung des konkret abzusichernden Bedarfs notwendig, das auch weiterhin auf Basis des Statistikmodells erfolgen kann. Eine Festlegung auf ein konkretes Modell der Bedarfsermittlung erfolgte nicht, das angewendete Verfahren muss jedoch transparent und damit überprüfbar sein. Es muss jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zusichern, die für seine psychische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind. Dieses Grundrecht aus Art. 1 Abs.1 GG hat als Gewährleistungsgrundrecht in seiner Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot neben dem Grundrecht auf Wahrung der Menschenwürde eine eigenständige Bedeutung. Zur Ermittlung des Anspruchsumfangs hat der Gesetzgeber alle existenznotwendigen Aufwendungen in einem transparenten und sachgerechten Verfahren realitätsgerecht und nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher empirischer Daten und Zahlen und schlüssiger Berechnungsweisen zu bemessen. Der Gesetzgeber kann den typischen Bedarf zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums durch einen monatlichen Festbetrag decken, muss aber für einen darüber hinausgehenden unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen Bedarf, einen zusätzlichen Leistungsanspruch gewähren.

Der Gesetzgeber hat nun in Form eines Bildungspakets diesen Bedarf in einem begrenzten Umfang abgedeckt, ohne ihn jedoch nach nachvollziehbaren Kriterien transparent und in der Höhe nachvollziehbar zu ermitteln. Hieran fehlte offenkundig aus fiskalischen Gründen das Interesse, bilden die mit dem Bildungspaket vermittelten Leistungen nur eine Pauschale für einen konkreten Sonderbedarf außerhalb des Regelsatzes. So werden nur Leistungen für spezielle Ausgaben, wie für das Schulessen, oder die Mitgliedschaft an Sportvereinen oder dem Musikunterricht vermittelt, die laufend auszuzahlen sind. Diese Anträge können die Betroffenen gegenüber dem Jobcenter stellen, die Leistungen werden jedoch direkt an Dritte ausgezahlt, so dass der Leistungsbezug zunächst einmal auch anderen bekannt werden muss. Aufwendungen für Nachhilfe werden nur zeitlich begrenzt und auf Vorlage einer Bestätigung der Schule bewilligt. Für das Schulessen zahlen die Kinder nur einen Betrag von € 1,00, damit können aber alle den Leistungsbezug feststellen. Wer stellt dann noch einen Antrag? Der Regelsatz wird weiterhin nach dem bis zum 31.12.2010 geltenden früheren Ausgangsregelsatz ermittelt.

Fragwürdig ist auch, inwieweit die Zuwendung dieser Leistungen unter Ausschluss der LeistungsempfängerInnen als AdressatInnen der Leistung mit dem Grundrecht der Menschenwürde vereinbar ist, wenn nicht wenige Anspruchsberechtigte davon abgehalten werden, diese Ansprüche geltend zumachen. Erinnert sei an dieser Stelle an eine Bemerkung des Stadtschulsprechers der Stadt Darmstadt in einer öffentlichen Diskussion, der äußerte, wenn seine MitschülerInnen merkten, dass ich für das Essen in der Schule nur € 1,00 zahlen muss, die anderen aber € 3,00 zu zahlen haben, sei er als Hilfeempfänger bloßgestellt und damit diskriminiert. Ebenso wenig fördert die Anweisung des Vereinsbeitrags durch die Jobcenter an einen Sportverein die Integration von anspruchberechtigten Kindern. Die Kinder erhalten damit eine Beruhigungspille nach dem Grundsatz „Morgen Kinder wird´s was geben, heute aber nicht“, die konkreten Bedürfnisse der Familien und Alleinerziehenden werden jedoch weiterhin nicht angemessen ermittelt und berücksichtigt.

Gravierend ist auch, dass die Höhe der Leistungen des Bildungspakets nicht nach transparenten Kriterien ermittelt wurde, also der Auftrag des Bundesverfassungsgerichts auch in dieser Hinsicht nicht ausgeführt wurde. Damit bleibt auch die derzeit geltende Höhe der Regelsätze zweifelhaft, eine Erhöhung ist damit für die Zukunft nicht ausgeschlossen, sollten die jetzigen Sätze nicht den tatsächlichen Bedürfnissen entsprechen. Eine gravierende am Existenzminimum orientierte Erhöhung der Leistungssätze wäre die Folge, würde der Gesetzgeber die erste Stufe der Ermittlung verfassungsgemäßer Leistungssätze transparent ausführen und damit dem Anliegen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nachkommen.

Der Gesetzgeber kam nach seiner Lesart dieser Forderung des Bundesverfassungsgerichts nach und ermittelte den konkreten Bedarf, der die Grundlage für die Regelleistungen bildet, anhand statistischer Erhebungen entsprechend dem Statistikmodell nach und kam zu dem Ergebnis einer Erhöhung des Regelsatzes für alleinstehende LeistungsempfängerInnen um € 5,00 und begründete dieses mit der Herausnahme von Alkohol und Zigaretten aus dem Warenkorb für Leistungsempfänger. Die Frage ist, inwieweit auch bei Annahme der Transparenz dieses Verfahren ausreichend ist, die Höhe der Regelsätze zu begründen. Das Bundesverfassungsgericht fordert den Gesetzgeber zu einer ständigen Prüfung und Ermittlung der Leistungssätze auf. Dieses kann nur bedeuten, dass nach einer entsprechenden Korrektur und damit einhergehenden Anpassung der Leistungssätze eine erneute Erhebung erforderlich ist, um zu prüfen, ob diese Leistungssätze noch ermittelbaren Lebensbedarf entsprechen. Damit verbunden ist auch eine erneute Prüfung, ob diese Leistungssätze noch den Bedarf decken, der über den Regelsatz abzusichern ist oder nicht. Werden nun, wie im Bereich des Bildungspakets Leistungssätze ermittelt, die bereits im Ansatz, also in der Höhe, nicht nachvollziehbar sind, so müssten auch die Leistungen des Bildungspakets einer erneuten Prüfung entsprechend dem tatsächlichen Bedarf in dieser besonderen Lebenssituation unterzogen werden. Da der Gesetzgeber die Bedarfssätze des Bildungspakets aber ausdrücklich nicht den Regelsätzen zuordnete, nahm er diese Leistungen aus den ausdrücklichen Anforderungen der regelmäßigen Prüfung und Anpassung, wie sie das Bundesverfassungsgericht forderte, heraus und ersparte sich eine Prüfung der Leistungssätze des Bildungspakets.

Zusammengefasst ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wie folgt zu interpretieren. Das Bundesverfassungsgericht fordert zunächst eine Ermittlung des Lebensbedarfs, der über die Regelsätze abzudecken ist. Sollte dieser nicht den notwendigen Bedarf abdecken, so sind ggf. erneut dieser Bedarf zu ermitteln und die Regelsätze anzupassen. In einem ersten Schritt wird dieser Bedarf also konkret ermittelt und in einem zweiten Schritt führt dieser zu einer ggf. erneuten Anpassung der Regelsätze. In welcher Höhe, bleibt offen, diese kann bis zu einer Einführung eines existenzsichernden Grundeinkommens gehen. Hierfür fehlt es aber an gesicherten empirischen Daten, die ebenfalls zu ermitteln sind. Erst mit diesen Schritten wäre der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts entsprochen worden. Der von mir auf Basis der Entscheidung vorgeschlagene Weg würde zu einer angemessenen Ermittlung der Regelsätze führen. Die Leistungen des Bildungspakets sind hierbei den Regelleistungen zuzuordnen und sollten auch den Adressaten konkret zugewendet werden, um diese Prüfung und Anpassung ggf. zu ermöglichen.

Bis zu diesem Schritt gehen Familien und Alleinerziehenden und damit vor allem alleinerziehende Frauen weiterhin leer aus. Kinder gehören entgegen dem Verfassungsauftrag damit zu den Verlierern der aktuellen Gesetzeslage und werden zu AlmosenempfängerInnen herabgestuft. Die gesetzliche Neuregelung im Bereich des Bildungspaktes entsprich nicht den Anforderungen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und ist damit ebenfalls verfassungswidrig. Die Bundesarbeits- und –sozialministerin ist damit weiterhin ihrem eigentlichen  Auftrag, alleinerziehenden Frauen mit Kindern ein menschenwürdiges Existenzminimum  zu sichern,  nicht nachgekommen.

Manfred Hanesch, Fachanwalt für Familien- und Sozialrecht

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Thema: Staat Demokratie BürgerInnenrechte

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