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Der lizensierte Streik

Einschränkung von Streiks im Bereich der Daseinsvorsorge?

Dienstag, 27. März 2012 | Autor: hfe | Diese Seite als PDF herunterladen

von Udo Mayer

Am 19.3.2012 präsentierten die Rechtsprofessoren Martin Franzen (München), Gregor Thüsing (Bonn) und Christian Waldhoff (Bonn) ein Regelungskonzept für Arbeitskämpfe in Unternehmen der Daseinsvorsorge. Der Vorschlag wurde im Auftrag der Carl Friedrich von Weizsäcker-Stiftung erarbeitet und zielt auf drastische Einschränkungen von Streiks in diesem  Bereich.

Als grundsätzliche Frage stellt sich dabei zunächst: warum ein solcher Vorschlag und warum gerade jetzt. Hintergrund sind offensichtlich die zunehmenden Streiks sog. Spartengewerkschaften sei es der Lokführer oder der Vorfeld-Arbeiter auf Flughäfen. Mit Regelungsvorschlägen wird zunächst einmal ein verbreitetes Unbehagen bedient, wenn kleine Gewerkschaften ihre strategisch wichtige Position ausnutzen und durch ihre Streikaktionen erhebliche Beeinträchtigungen etwa bei der Personenbeförderung verursachen. Der Entwurf will offensichtlich diesem „Missstand“ einen Riegel vorschieben und beruht auf der Annahme, dass andernfalls die Allgemeinheit bei wichtigen Bereichen der sog. Daseinsvorsorge in Geiselhaft genommen werden könnte. Er ist aber in Wahrheit ein Versuch, im Bereich der Daseinsvorsorge Streiks künftig erheblich zu erschweren oder gar unmöglich zu machen.

  1. Bereich der Daseinsvorsorge

Der Vorschlag geht von einem extrem weiten Begriff der Daseinsvorsorge aus und fasst darunter nicht nur die üblichen Bereiche wie medizinische Versorgung (Krankenhäuser), Verkehr, Energie, Wasser, Müllabfuhr sondern auch das Bankwesen, Schulen und Kindergärten. Der Bankensektor würde dadurch in eine „geschützte“ Zone verwandelt und das trotz der Erfahrungen aus der Finanzkrise, dass Banken als ihr Hauptziel gerade nicht mehr die Versorgung der Realwirtschaft mit Krediten ansehen sondern die Steigerung ihrer Gewinne. Den Bankbeschäftigten würde es dadurch künftig deutlich schwerer fallen, Forderungen nach einer Abschöpfung dieser Gewinne über  Lohnerhöhungen durch Streiks Nachdruck zu verleihen.

  1. Streikstopp durch Schlichtungszwang

Ein Streik im Bereich der Daseinsvorsorge soll 4 Tage im Voraus angekündigt werden. Diese Ankündigungspflicht ist von besonderer Brisanz, weil sie der Gegenseite die Gelegenheit gibt, rechtzeitig ein Schlichtungsverfahren einzuleiten, während dessen Laufzeit Streiks verboten sein sollen. Die Ankündigung eines geplanten Streiks kann also zur sofortigen Gegenreaktion der Arbeitgeber führen: bereits der Antrag auf Einleitung eines Schlichtungsverfahrens führt zu einem Arbeitskampfverbot und könnte jeden geplanten Streik im Keim ersticken. Die Installierung eines solchen Schlichtungsverfahren ist das eigentlich Bedrohliche an dem gesamten Entwurf: wenn allein die Beantragung eines Schlichtungsverfahrens durch die Arbeitgeber jeden Streik auf Eis legen kann, dann fragt es sich, wann die Gewerkschaften eigentlich Druck aufbauen dürfen, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Ohne Streiks bleiben Tarifverhandlungen aber „kollektive Bettelei“, wie immerhin selbst das BAG einmal festgestellt hat.

Wenn allein die bloße Existenz einer Schlichtungsstelle diese Wirkung entfalten kann, dann ist seine Zusammensetzung eher von zweitrangiger Bedeutung.  Sie soll mit 3 Personen besetzt  werden, mit jeweils einem Vertreter der Arbeitskampfparteien und einem „Bundesschlichter“, der einvernehmlich von den Parteien bestimmt und gleich für 4 Jahre installiert werden soll. Das Gremium entscheidet mit Mehrheit und zwar verbindlich. Dies ist eine radikale Abkehr von allen bisher praktizierten Schlichtungsverfahren,  bei denen die Parteien selbst entscheiden, ob sie sich einem Spruch unterwerfen wollen. Es läuft auf eine Art Zwangsschlichtung  hinaus, was nicht besser wird dadurch, dass man den Parteien zugesteht, ihren Zwangsschlichter selbst zu bestimmen.

  1. Einführung einer Quotenregelung

Ein Streik soll schließlich überhaupt nur dann zulässig sein, wenn der angestrebte Tarifvertrag mindestens 15% der Arbeitsverhältnisse erfasst. Das bedeutet konkret, dass kleine Branchengewerkschaften praktisch keine Chancen mehr haben, ihren Tarifforderungen durch Streiks Nachdruck zu verleihen. Das zielt letztendlich zu einer Herstellung von Tarifeinheit nach dem Grundsatz „ein Betrieb – ein Tarifvertrag“ durch die Hintertür. Das BAG hat 2010 diesen Grundsatz (ursprünglich von ihm selbst erfunden) aufgegeben, da er mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der Koalitionsfreiheit unvereinbar sei. Die Arbeitgeberverbände versuchten daraufhin den DGB und seine Einzelgewerkschaften für eine gesetzliche Regelung der Tarifeinheit zu gewinnen, um kleine Branchengewerkschaften auszumanövrieren.  Diesem Ansinnen haben sich die DGB-Gewerkschaften letztlich verweigert.

Die Festlegung eines Schwellenwerts für die Zulässigkeit von Streiks würde die verfassungsrechtlich geschützte Bipolarität von Koalitionsfreiheit und Streikfreiheit in unzulässiger Weise verkürzen („Zwei Seiten einer Medaille“).

  1. Abstecken eines Kernbereichs ohne Streik

Der Entwurf will auch das Procedere regeln, durch das eine gewisse Minimalversorgung bei Streiks sichergestellt werden soll. Bisher wird die Frage der „Notversorgung“ in Deutschland von den Tarifparteien geregelt und seit Jahrzehnten in einer Art und Weise, dass von chaotischen Zuständen im Kernbereich der Daseinsvorsorge (Krankenhäuser, Energie, Wasser, Müllabfuhr) nie die Rede sein konnte. Es entspricht purer Panikmache, wenn von den Verfassern nun ein Regelungsbedarf suggeriert wird, die Aufrechterhaltung einer Minimalversorgung zu sichern und in diesem „Kernbereich“ keine Streiks zuzulassen. Es spiegelt ein grundsätzliches Misstrauen in die Fähigkeit der Tarifparteien wider, eine die Allgemeinheit schonende „Notfallregelung“ zu treffen – obwohl die Tarifparteien solche „Notfallregelungen“ aus eigener Kraft und in einer die Allgemeinheit zufrieden stellenden Weise längst getroffen haben . Stattdessen soll künftig nach dem Modell der Einigungsstelle im BetrVG ein weiteres Gremium installiert werden, in dem die Tarifparteien unter Zuhilfenahme eines außenstehenden Dritten den Umfang der Grundversorgung festlegen sollen.  Die Gefahr beim Einbau eines solchen weiteren Filters besteht in einer so weiten  Ausdehnung des Umfangs der „Grundversorgung“, dass auch über diese Schraube  Streiks in unverhälnismäßiger Weise eingeschränkt werden können.

Fazit:

Die Verfasser bezeichnen ihren Entwurf als „schlank“. Seine 7 Paragrafen haben jedoch eine Sprengkraft, die das bisherige Arbeitskampfgeschehen im Bereich der sog. Daseinsvorsorge in seinen Grundfesten erschüttern und Streiks nahezu verunmöglichen würde. Ein solches Regelungsvorhaben steht in diametralem Gegensatz zur Verfassungsgarantie des Streiks. Es würde das bereits bisher vom BAG aufgestellte Erfordernis der „Verhältnismäßigkeit“ eines Streiks zur radikalen Verneinungsmöglichkeit von Streiks in diesem Bereich pervertieren.

Selbst wenn dieser Weizsäcker-Vorschlag wenig Aussicht auf Realisierung haben dürfte (ebenso wenig wie ein anderer Professorenentwurf zur Regelung des Arbeitskampfrechts vor einigen Jahren) – er bedient ein verbreitetes Unbehagen mit streikbedingen Unannehmlichkeiten der Öffentlichkeit durch kleine Branchengewerkschaften. Der Vorschlag würde den gesamten Bereich der Daseinsvorsorge jedoch in einen Friedhof verwandeln – eine lebendige, auch kontroverse Debatte über den Umfang von Tarifforderungen und die adäquate Form ihrer Durchsetzung würde nicht mehr von den Betroffenen geführt (in Auseinandersetzung mit einer kritischen, weil betroffenen Öffentlichkeit), sondern von Oben oktroyiert. Dies kommt einer Kampfansage gleich an das bisherige  System der Selbstregulierung der Arbeitsbedingungen durch die Tarifvertragsparteien, deren Nutznießer in erster Linie die Arbeitgeber der Unternehmen im Bereich der Daseinsvorsorge wären. Sie bräuchten künftig den Druck durch Streiks nicht mehr zu befürchten und könnten Tarifforderungen, die sie für überhöht halten, einfach aussitzen.

24.3.2012

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Thema: Arbeit & Wirtschaft, Staat Demokratie BürgerInnenrechte

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