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Das Elend der Abschiebehaft

Dienstag, 7. Juni 2011 | Autor: hfe | Diese Seite als PDF herunterladen

von Rechtsanwalt Michael Sack, München

Die Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger -kurz Rückführungsrichtlinie- enthält auch Mindeststandards für die Abschiebehaft. Sie gilt  für alle Staaten der EU außer Dänemark, Großbritannien und Irland sowie außerhalb der EU in Island, Liechtenstein, Norwegen und der Schweiz. Die Frist für die innerstaatliche Umsetzung ist am 24.12.2010 abgelaufen. Die Bundesrepublik Deutschland hat die Richtlinie bisher nicht in nationales Recht umgesetzt. Insofern gilt sie unmittelbar. Auch dann, wenn die Richtlinie die Abschiebehaft selbst nicht in Frage stellt, formuliert sie restriktivere Standards, was sich allerdings in der Rechtspraxis der mit Abschiebehaft befassten Behörden in Deutschland kaum niedergeschlagen hat.

1. Abschiebehaft wird zu schnell, zu oft und oft zu Unrecht verhängt

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Der Rechtsanwalt Peter Fahlbusch aus Hannover, der als Migrationsrechtler seit vielen Jahren mit Ausweisungs- und Abschiebehaftsachen befasst ist, hat eine private Statistik seiner Tätigkeit seit 2002 aufgestellt: 257 der 713 vertretenen Mandanten und damit mehr als 1/3 wurden zu Unrecht festgenommen und/oder ganz oder jedenfalls über einen gewissen Zeitraum inhaftiert. Zusammengezählt macht das 6.880 Tage – das sind knapp 19 Jahre – rechtswidriger Haft. Jeder rechtswidrig Inhaftierte befand sich durchschnittlich 27 Tage zu Unrecht in Haft. Und das nicht etwa, weil Hannover so ein Hort des Unrechts wäre, die Zahlen hier in München wären sicher ähnlich.

Das BVerfG hat 2008/2009 insgesamt 8 Entscheidungen zur Abschiebehaft getroffen, in denen es Beschlüsse der Instanzgerichte aufgehoben hat. Wer die hohen Hürden für Verfassungsbeschwerden kennt, weiß, dass hier ganz eklatante Rechtsverstöße vorlagen.

Seit der BGH für die Entscheidung über Rechtsbeschwerden zuständig ist, wurde in 70% der Fälle zugunsten der Betroffenen entschieden.

Leider kommen diese Entscheidungen oft zu spät. Es sind vielfach Entscheidungen über die nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft nach Erledigung der Hauptsache durch Vollzug der Abschiebung oder manchmal auch verspätete Freilassung.

Wohlgemerkt es geht hier um massivste Eingriffe in die Grundrechte. Menschen werden ohne den Verdacht einer Straftat der Freiheit beraubt und dies oft über mehrere Monate.

Woran liegt es:

Meistens sind die zuständigen Haftrichter der 1. Instanz auch die Ermittlungsrichter, sie erhalten normalerweise die Vorgaben von der Staatsanwaltschaft und übernehmen unkritisch die Anträge der Ausländerbehörde ohne nähere Überprüfung. So wird z.B. nicht überprüft, ob ein Bescheid auch wirksam zugestellt wurde, ob eine Abschiebung in den nächsten drei Monaten überhaupt möglich und durchführbar ist. Obwohl § 417 Abs.2 FamFG bestimmt, dass die Behörde im Verfahren mit der Antragstellung die Akte des Betroffenen, d.h. die Ausländerakte vorlegen soll, geschieht dies beim AG in der Regel nicht. Die nach § 420 FamFG vorgeschriebene Anhörung ist oft eine Farce. Ein Vertreter der Ausländerbehörde ist – jedenfalls so weit ich es hier in München und Erding erlebe – beim AG nicht anwesend. Die Beschlüsse sind meistens schon vor der Anhörung fertig geschrieben und werden dem Betroffenen nur noch überreicht. Ehegatten werden nicht angehört, Haft wird über drei Monate hinaus verhängt, obwohl die Untätigkeit der Behörde und damit ein Verstoß gegen das Beschleunigungsprinzip offensichtlich ist, Fristen werden nicht beachtet, z.B: die Frist zur Entlassung nach 4 Wochen nach Stellung eines Asylantrages.

Erst in der Berufungsinstanz wird oft gründlicher gearbeitet, die Behördenakten beigezogen, die Ausländerbehörde  und sonstige Beteiligte geladen und befragt.

Ich habe in München und Erding in den letzten zehn Jahren nicht einen einzigen Fall erlebt, in dem der Haftrichter beim AG einen Antrag der Ausländerbehörde abgelehnt hätte. Vom  LG wurden  allerdings viele Entscheidungen aufgehoben, auch hier leider oft nach Erledigung der Hauptsache.

Die Befürchtungen, dass die Revisionsinstanz mit der neuen Zuständigkeit des BGH statt bisher des OLG wirkungslos wird, haben sich erfreulicherweise nicht bestätigt. Der BGH hat in diesem Jahr bereits 8 positive Entscheidungen getroffen, davon in einigen Fällen sogar die Haft per einstweiliger Anordnung aufgehoben.

2. Verbesserung oder Verschlimmerung durch das FamFG und die RL

2008/115/EG

Seit 01.09.2009 gilt in allen Freiheitsentziehungssachen außerhalb des Strafprozesses das 7. Buch des FamFG. Verfahrensrechtlich hat dies einige Verbesserungen gebracht, aber auch Erschwernisse, insbesondere durch die gesetzliche Zuständigkeit des BGH für die Rechtsbeschwerde. Zu Recht weist Martin Heiming im Grundrechte Report 2011 darauf hin, dass damit nur beim BGH zugelassene Anwälte in der Rechtsbeschwerde tätig werden dürfen. Dies bedeutet erheblichen Zeitverlust, da der BGH-Anwalt sich ja erst einarbeiten muss, keinen persönlichen Kontakt mit dem inhaftierten Mandanten hat, Verfahrenskostenhilfe  beantragt werden muss (Mandanten in Abschiebehaft haben meistens kein Geld) und auch ein geeigneter BGH Anwalt gefunden werden muss. Dies alles hat offenbar zu einem drastischen Rückgang der Rechtsbeschwerden geführt. Die Forderung von Heiming nach einer Änderung der ZPO und Zulassung aller Anwälte in Rechtsbeschwerdeverfahren nach dem 7.Buch des FamFG vor dem BGH verdient Unterstützung.

Dennoch: die Befürchtung, BGH Anwälte würden hier keine oder unzulängliche Vertretungen übernehmen und der BGH würde restriktiv entscheiden, haben sich so nicht bewahrheitet: es gibt durchaus einige sehr wichtige Grundsatzentscheidungen des BGH. So hat der BGH jetzt schon mehrfach entschieden, dass bereits der Haftantrag der Ausländerbehörde unzulässig ist, wenn die notwendige Zustimmung der Staatsanwaltschaft zu einer Abschiebung nicht vorliegt.

Das FamFG hat einige Mindestanforderungen an die Haftanträge der Ausländer- oder sonstiger zuständiger Behörden formuliert. Es schreibt eigentlich die Anhörung der Beteiligten vor, was aber vom AG fast immer unterlassen wird. Ferner regelt das FamFG in § 63, dass die Beschwerde auch nach Erledigung der Hauptsache bei schwerwiegenden Grundrechtseingriffen immer zulässig ist.

Die RL 2008/115/EG über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (welches bürokratische Monster-Wortgetöse!) regelt auch die Abschiebung und im Kap. IV die Voraussetzungen, maximale Dauer der Haft sowie die Haftbedingungen.                Hier stehen so schöne Sätze wie:
„ Die Inhaftnahme wird in jedem Fall in gebührenden Zeitabständen überprüft“ oder „Stellt sich heraus, dass aus rechtlichen oder anderweitigen Erwägungen keine hinreichende Aussicht auf Abschiebung mehr besteht, so ist die Haft nicht länger gerechtfertigt und die betroffene Person unverzüglich freizulassen.“

Auf Drängen Deutschlands wurde die Hafthöchstgrenze von 18 Monaten übernommen bei „mangelnder Kooperationsbereitschaft“ oder „Verzögerung bei der Übermittlung der erforderlichen Unterlagen durch Drittstaaten.“ Hierbei handelt es sich um äußerst unbestimmte und dehnbare Rechtsbegriffe, was ich für sehr bedenklich halte.  Auch wenn die in Deutschland etwas präzisere Regelung für die Verlängerung der Haft über 6 Monate hinaus hier Gültigkeit hat, bietet die VO den Ausländerbehörden Anreize, Anträge auf Haftverlängerung über 6 Monate bei „mangelnder Kooperationsbereitschaft“ zu stellen, auch wenn nach § 62 Abs.3 AufenthG ein „Verhindern“  vorliegen muss. Das liest sich dann so: „Die Ausländerbehörde hat unverzüglich nach Anordnung der Abschiebungshaft die Beschaffung von Passersatzpapieren eingeleitet. Der Betroffene hat sich jedoch sehr unkooperativ gezeigt und erst nach mehreren Aufforderungen den Antrag unterschrieben.“ Erst das LG stellte fest, dass dem nicht deutsch und nicht englisch sprechendem Inder die Aufforderung zum Ausfüllen der Anträge in deutscher Sprache über einen JVA Bediensteten übermittelt wurden, ohne das der Betroffene überhaupt wusste um was es ging.

Zu den Haftbedingungen enthält die Richtlinie, die bis 24.12.2010 umgesetzt werden musste, klare Regelungen, gegen die jedenfalls in Bayern weiterhin verstoßen wird: „Die Inhaftierung erfolgt grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen“ Nur wenn in einem Mitgliedstaat solche Hafteinrichtungen nicht vorhanden sind, so müssen Abschiebehäftlinge zumindest gesondert von Strafgefangenen untergebracht werden. Dies bezieht sich eindeutig  -dies wird in einem Schreiben der Europäischen Kommission bestätigt – auf das Gesamtterritorium eines Mitgliedstaates.  Da in Bayern männliche Personen in Abschiebehaft zwar in München und Nürnberg getrennt, aber in einer JVA und weibliche Personen in Abschiebehaft sogar zusammen zumindest mit U-Häftlingen untergebracht werden, liegt ein klarer Verstoß gegen die RL vor, Abhilfe scheint derzeit nicht in Sicht. Die RL schreibt in Art.17 vor, dass Kinder und Familien nicht inhaftiert werden sollen, und dass sie, wenn sie gleichwohl inhaftiert werden, dann gemeinsam untergebracht werden müssen unter Berücksichtigung der Privatsphäre. Da dies in JVAs nicht möglich is wird nur der Familienvater quasi in „Geiselhaft“ genommen. Auch dies eine Umgehung der RL.

Mit Forderungen nach speziellen Hafteinrichtungen sollten wir uns – denke ich – zurückhalten, wenn wir die Abschiebehaft insgesamt abschaffen wollen. Aber selbstverständlich muss trotzdem mit allen rechtlichen und politischen Mitteln die Einhaltung der Mindeststandards gefordert werden.

3. Haftentschädigung als Druckmittel

Es dürfte sich herumgesprochen haben, dass für rechtswidrige Haft nach Art. 5 Abs.5 EMRK verschuldensunabhängige Schadenersatzansprüche geltend gemacht werden können. Die Höhe des immateriellen Schadenersatzes als Schmerzensgeld wird bis jetzt höchst unterschiedlich berechnet. Fest steht nach der Rechtsprechung des BGH, dass keine Bindung an die Sätze des StrEG (25 € pro Tag) besteht. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte  in Straßburg hat z.T. sehr hohe Beträge zugesprochen. In München konnten wir in zwei Fällen 100,00 €/Tag durchsetzen, aber auch nur, weil die Haftpflichtversicherung der Stadt zahlte und erst jetzt bemerkt hat, dass es hier um verschuldensunabhängige Schadenersatzleistungen geht.

Bundesweit scheinen sich Ausländerbehörden und Justizverwaltungen darauf geeinigt zu haben, pro Tag rechtswidriger Haft 25 € für angemessen und ausreichend anzusehen. Die Nutzungsausfallentschädigung für einen Mittelklassenwagen nach fremdverschuldetem Unfall liegt weit darüber.

Hier gilt es zu kämpfen, wenn die Kommunen für unrechtmäßige Haftanträge der Ausländerbehörden zur Kasse gebeten werden, prüft der eine oder andere Sachbearbeiter vielleicht doch genauer und überlegt die Stellung von Haftanträgen. Natürlich bleibt das Ziel, Haft zu vermeiden, aber warum sollen wir nicht um hohe Haftentschädigungen bei unrechtmäßiger Haft kämpfen.

Menschen in Abschiebehaft haben keine Lobby. Sie sind oft verzweifelt, es kommt immer wieder zu Selbstmorden. Der Jesuiten Flüchtlingsdienst betreut seit zwei Jahren auch in München Menschen in Abschiebehaft. Es gibt eine sehr enge Zusammenarbeit mit auf Ausländerrecht spezialisierten Anwältinnen und Anwälten und es gibt einen  Rechtshilfefonds. So werden zumindest die meisten Fälle erfasst und in geeigneten Fällen Rechtsmittel eingelegt. 2010 kam es bei 208 betreuten Fällen in 70 Fällen, also bei 30% zur Freilassung. Allein das zeigt die Bedeutung und Notwendigkeit einer solchen Betreuung, die aber in nur sehr wenigen Haftanstalten gegeben ist. Auch dies seit langem eine berechtigte Forderung der VDJ.

Der Text basiert auf einem Vortrag auf der Bundesvorstandssitzung der VDJ in München am 28.05.2011.

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Thema: Staat Demokratie BürgerInnenrechte

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