Home

Übungsklausur Ö-Recht: Versandhandel unter Verdacht (Verfassungsbeschwerde)

Sachverhalt:

Antifaschistin X betreibt einen Versandhandel namens „Dark Hell” und bietet vorwiegend Produkte für die Punkerszene an. Sie verkauft u. a. Kapuzenpullover und T-Shirts, Aufnäher, Aufkleber etc.. Auf vielen dieser Produkte ist in der Form eines Halteverbotschildes ein erkennbar durchgestrichenes Hakenkreuz abgebildet. Teilweise ist ein Hakenkreuz zu sehen, welches von einer Faust zertrümmert wird oder von einer Figur in einen Abfalleimer geworfen wird; letzteres ist mit dem Schriftzug „Halte Deine Umwelt sauber!” versehen.

Das Landgericht Bielefeld verurteilt die X daraufhin zu einer Geldstrafe wegen Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gemäß § 86 a I Nr. 1 und 2 i.V.m. § 86 I Nr. 4 StGB. X ist empört und legt Revision gegen dieses Urteil beim BGH ein. Dieser bestätigt das Urteil des LG und weist die Revision ab. Als Begründung führt das Gericht aus, dass § 86 a StGB das Verwenden und Verbreiten von Kennzeichen nationalsozialistischer Organisationen selbst dann verbiete, wenn diese in eindeutig ablehnender Weise dargestellt seien. Der Täter müsse dem Symbolwert des Kennzeichens nicht positiv gegenüber stehen. Zweck des § 86 a StGB sei es, ein Wiederaufkommen des Nationalsozialismus zu verhindern. Hierfür müssen nationalsozialistische Symbole aus dem öffentlichen Erscheinungsbild der Bundesrepublik vollständig verschwinden. Es bestehe in diesem Fall auch keine Ausnahme nach § 86 a III i.V.m. § 86 III StGB. Bei anderer Auslegung der Strafnorm sei nicht auszuschließen, dass ein Gewöhnungseffekt eintritt und die Kennzeichen – in Zukunft wieder ihrem ursprünglichen Sinn gemäß gebraucht werden. Dies wollte der Gesetzgeber aber mithilfe der Norm gerade verhindern. Dass die X erklärte Antifaschistin sei, stehe dem Urteil also nicht entgegen. § 86 a StGB diene ferner der Sicherung des Völkerfriedens; daher müsse bei ausländischen Einwohnern und Touristen unbedingt der Eindruck vermieden werden, dass Hakenkreuze – seien sie auch erkennbar durchgestrichen – in Deutschland wieder salonfähig werden. Entsprechend seien die strafrechtlichen Normen auszulegen.

X ist entrüstet über die Urteile. Schließlich sei sie eine bekennende Antifaschistin, die ihre Haltung mit dem Betreiben des Versandhandels deutlich mache, wozu sie auch berechtigt sei. Selbst wenn der Tatbestand des § 86 a StGB vorliegen sollte, bewirke die Anwendung der Norm in diesem speziellen Fall das Gegenteil ihres eigentlichen Sinns.

X will sich diesen „Skandal” nicht bieten lassen. Sie bittet eine befreundete Rechtsanwältin R um Hilfe. R meint, die Strafurteile verletzten die X in ihren Grundrechten. Außerdem ist sie der Ansicht, dass bereits die Vorschrift des § 86 a StGB selbst verfassungswidrig ist, da sie in unzulässiger Weise Sonderrecht schaffe. R erhebt als Prozessvertreterin der X für diese form- und fristgerecht Verfassungsbeschwerde.

Wird die Verfassungsbeschwerde Erfolg haben?

A) Zulässigkeit

I. Zuständigkeit des BVerfG

Die Zuständigkeit des BVerfG richtet sich nach Art. 93 I Nr. 4 a GG, 13 Nr. 8 a BVerfGG.

II. Beteiligtenfähigkeit gem. § 90 I BVerfGG

X ist als natürliche Person gemäß § 90 I BVerfGG „jedermann” und damit beteiligtenfähig.

III. Beschwerdegegenstand gem. Art. 93 I Nr. 4a GG, § 90 I

BVerfGG

Es müsste ein zulässiger Akt der öffentlichen Gewalt vorliegen, was hier mit dem Urteil des BGH (Akt der Judikative) der Fall ist.

IV. Beschwerdebefugnis gem. Art. 93 I Nr. 4a, § 90 I BVerfGG

Beschwerdebefugnis bedeutet, dass die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung bestehen und der Beschwerdeführer „selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen” betroffen sein muss.

1. Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung

Die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung ist vorliegend gegeben, wenn nicht „von vornherein ausgeschlossen ist”, dass die Gerichte die Bedeutung der Grundrechte der X verkannt haben und sie damit in einem seiner Grundrechte verletzt wurde. Eine Verletzung von Meinungs- Berufs- und Kunstfreiheit erscheint im vorliegenden Fall als nicht von vornherein ausgeschlossen, so dass diese Voraussetzung erfüllt ist.

2. Selbst und gegenwärtig betroffen

X ist als Adressatin des Urteils selbst und gegenwärtig betroffen

3. Unmittelbar betroffen

Da kein weiterer Vollzugsakt erforderlich ist, ist X ferner unmittelbar betroffen.

IV. Rechtswegerschöpfung /Subsidiarität

Mit dem Urteil des BGH ist der Rechtsweg gemäß § 90 II 1 BVerfGG erschöpft.

V. Form und Frist

1. Form

Gemäß § 23 I 1 BVerfGG muss die Schriftform eingehalten sein. Weiterhin muss die Verfassungsbeschwerde gemäß § 23 I 2 BVerfGG begründet werden. Die Begründung muss nach § 92 BVerfGG das Recht, das verletzt sein soll und die Handlung oder Unterlassung des Organs oder der Behörde, durch die der Beschwerdeführer sich verletzt fühlt, enthalten. Laut Sachverhalt sind die Formvorschriften erfüllt.

2. Frist

Die Frist beträgt gemäß § 93 I 1 BVerfGG einen Monat nach Zustellung des letztinstanzlichen Urteils. Gemäß dem Sachverhalt ist diese Voraussetzung ebenfalls erfüllt.

VI. Zwischenergebnis

Die Verfassungsbeschwerde der X ist zulässig.

B. Begründetheit

Die Verfassungsbeschwerde der X richtet sich gegen ein Urteil. Das BVerfG prüft sie daher nur an einem eingeschränkten Maßstab. Da das BVerfG keine Superrevisionsinstanz ist, prüft es nur, ob das Gesetz, auf welchem die Verurteilung beruht, selbst verfassungswidrig ist, in Verkennung von Grundrechten angewendet wurde, die Gerichtsentscheidung also spezifisches Verfassungsrecht verletzt.

I. Art. 5 I GG

1. Schutzbereich

Zu prüfen ist, ob der Schutzbereich der Meinungsfreiheit nach Art. 5 I 1 GG tangiert ist. Das Verkaufen der im Sachverhalt genannten Produkte könnte die Verbreitung einer Meinungsäußerung im Sinne des Art. 5 I 1 GG darstellen. X ist überzeugte Antifaschistin, d. h. die durchgestrichenen Hakenkreuzen auf den zum Verkauf stehenden Produkten spiegeln ihre eigene Meinung wieder, die sie durch den Verkauf verbreitet i. S. d. Art. 5 I 2. Alt. GG. Fraglich ist, ob es sich hierbei um eine Meinung handelt. Meinungen sind alle Werturteile, unabhängig von Art und Inhalt. Die Wertigkeit einer Meinung spielt keine Rolle. Insofern ist es irrelevant, ob eine Meinung Substanz hat oder nicht, ob sie rational oder irrational ist. Anders würde es sich allerdings verhalten, falls es sich um ein nicht durchgestrichenes Hakenkreuz handeln würde. In diesem Fall wäre der Schutzbereich nicht berührt, denn es ist ein offenkundiges Ziel des Gesetzgebers, die freiheitlich-demokratische Grundordnung in der BRD zu sichern und faschistische Bestrebungen, welche diese Grundordnung beseitigen wollen, zu unterbinden, weswegen das Tragen von NS-Abzeichen verboten ist. Da das Hakenkreuz hier -ähnlich einem Halteverbotsschild – durchgestrichen ist, ist es eindeutig zu interpretieren als ein „gegen Nationalsozialismus” Daher fallen die durchgestrichenen Hakenkreuze als Werturteil unstrittig in den von der Meinungsfreiheit geschützten Bereich.

2.. Eingriff

Vorliegend wurde X auf der Grundlage des § 86a StGB zu einer Geldstrafe verurteilt. § 86a

StGB verbietet der X vermeintlich den Verkauf der Produkte und durch die Geldstrafe wurde X für genau jenes sanktioniert. Diese Einschränkung des Schutzbereiches des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung gem. Art. 5 I GG durch das Strafurteil stellt einen Eingriff dar.

3. Verfassungsmäßige Rechtfertigung

Der Eingriff ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt, wenn eine gesetzliche Eingriffsgrundlage besteht, die 1. selbst verfassungsgemäß ist und 2. verfassungsgemäß, also ohne Verkennung von Grundrechten, angewendet wurde.

a) Verfassungsgemäße Eingriffsgrundlage

In Betracht kommt hier § 86a StGB.

aa) formelle Verfassungsmäßigkeit

Mangels entgegenstehender Hinweise im Sachverhalt ist von der formellen Verfassungsmäßigkeit auszugehen.

bb) materielle Verfassungsmäßigkeit

(1) Art des Schrankenvorbehalts

Vorliegend besteht ein qualifizierter Gesetzesvorbehalt, und zwar in Form von „allgemeinen Gesetzen” gemäß Art. 5 II GG.

(2) Wahrung des Schrankenvorbehalts

Der Schrankenvorbehalt müsste gewahrt sein, d. h. die gesetzliche Grundlage (§ 86a StGB) muss den Anforderungen an die Grundrechtsschranken genügen; in diesem Fall also ein allgemeines Gesetz i. S. d. Art. 5 II GG darstellen. Demnach ergibt sich die Frage, wodurch sich allgemeine Gesetze i. S. d. Art. 5 II GG auszeichnen. Hierzu existieren verschiedene Theorien.

(a) Sonderrechtslehre

Die Sonderrechtslehre zielt auf formale Kriterien ab: nach ihr ist die Meinungsneutralität des Gesetzes entscheidend. Mit anderen Worten sind nur diejenigen Vorschriften allgemeine Gesetze, die sich nicht gegen eine bestimmte Meinung als solche richten, also nicht eine Meinung wegen ihres Inhalts als solche verbieten. Die geistige Zielrichtung ist hierbei entscheidend. Allgemeine Gesetze normieren also kein „Sonderrecht gegen die Meinungsfreiheit”. § 86a StGB verbietet aber gezielt Meinungsäußerungen in Form von Kennzeichen allein wegen ihrer geistigen Zielrichtung. Diese Vorschrift richtet sich folglich gegen eine Meinung als solche und verbietet diese Meinung als solche wegen ihres verfassungswidrigen Inhalts. § 86 StGB ist ein zur Eindämmung nationalsozialistischen Gedankenguts erlassenes Sonderrecht und stellt somit gemäß der Sonderrechtstheorie kein allgemeines Gesetz i. S .d. Art. 5 II GG dar.

Nach dieser Ansicht ist der Schrankenvorbehalt nicht gewahrt; § 86 a StGB wäre demnach  verfassungswidrig mit der Folge, dass eine Verletzung von Art. 5 I GG vorläge.

(b) Abwägungslehre

Im Gegensatz zur Sonderrechtslehre zielt die Abwägungslehre auf materielle Kriterien ab. Nach dieser Theorie sind alle Gesetze „allgemeine” Gesetze, die deshalb Vorrang vor Art. 5 I 1 GG haben, weil das von ihnen geschützte gesellschaftliche Gut höherwertiger ist als die Meinungsäußerung. Es kommt also entscheidend auf die Abwägung zwischen den verschiedenen Rechtsgütern an. Rechtsgüter sind in diesem Fall der demokratische Rechtsstaat und der politische Frieden. § 86a StGB bezweckt den Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung in dem Sinne, dass verfassungswidriges Gedankengut aus der Öffentlichkeit verschwinden soll. Der Schutz der Verfassung und die freiheitlich demokratische Grundordnung sind gegenüber der Meinungsfreiheit höherrangig. Demnach stellt § 86 a StGB ein “allgemeines Gesetz” i. S. d. Art. 5 II GG dar.

(c) Kombinationsformel

Das BVerfG hat mit seiner Kombinationsformel beide Lehren kombiniert (Lüth-Urteil) und versteht unter “allgemeinen Gesetzen” solche Gesetze, welche nicht eine Meinung als solche verbieten, die sich nicht gegen die Äußerung der Meinung als solche richten, sondern vielmehr dem Schutze eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung, zu schützenden Rechtsguts dienen, nämlich dem Schutze eines Gemeinschaftswerts, der gegenüber der Betätigung der Meinungsäußerung den Vorrang hat. Wie oben bereits festgestellt, ist § 86 a StGB nicht meinungsneutral. Aber der Schwerpunkt der Kombinationsformel liegt auf der zweiten Voraussetzung. Im Bereich sensibler politischer Auseinandersetzung relativiert die h. M. die Sonderrechtslehre, indem sie der Abwägungslehre den Vorzug gibt. Das BVerfG sieht § 86 a StGB als allgemeines Gesetz im Sinne von Art. 5 II GG an (BVerfGE 111, 147, 155), da die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Meinungsfreiheit in diesem Bereich vorgeht

(d) Streitentscheidung

Die oben genannten Theorien kommen zu verschiedenen Ergebnissen, weshalb es einer Streitentscheidung bedarf. Für die Sonderrechtslehre spricht, dass die Forderung nach Meinungsneutralität zu der größten Meinungsfreiheit führt bzw. die Meinungsfreiheit am wenigsten einschränkt. Gegen die Theorie spricht jedoch, dass sie für das Verbot der „Auschwitz-Lüge” oder auch für die §§ 86, 86a StGB keine Rechtfertigung findet, sondern hier Ausnahmen zulassen muss, was nicht hinnehmbar ist. Dieser Theorie ist daher nicht zu folgen.

Abwägungslehre und Kombinationsformel kommen zum selben Ergebnis, so dass der Streit zwischen ihnen nicht zu entscheiden ist.

Mithin ist §86a StGB ein allgemeines Gesetz i. S. d. Art. 5 II GG.

(3) Verhältnismäßigkeit

> legitimes Ziel

§ 86 a StGB schützt den demokratischen Rechtsstaat und den politischen Frieden im Sinne einer Verbannung der inkriminierten Kennzeichen aus dem öffentlichen Erscheinungsbild der Bundesrepublik Deutschland. Die Norm ist gegen die Wiederbelebung der verfassungswidrigen Organisationen und der von ihr verfolgten Bestrebungen gerichtet, auf die das jeweilige Kennzeichen symbolhaft hinweist. Es soll bereits jeder Anschein vermieden werden, in Deutschland gebe es eine rechtsstaatswidrige politische Entwicklung in dem Sinne, dass verfassungsfeindliche Bestrebungen in der durch das Kennzeichen symbolisierten Richtung geduldet würden. Die Vorschrift soll zudem verhindern, dass sich die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen derart einbürgert, dass das Ziel, solche Kennzeichen aus dem Bild des politischen Lebens in der Bundesrepublik grundsätzlich zu verbannen, nicht erreicht wird mit der Folge, dass sie schließlich auch wieder von Verfechtern der politischen Ziele, für die das Kennzeichen steht, gefahrlos gebraucht werden können. Dies sind allesamt legitime Ziele.

> Gesetz zum Erreichen des Zwecks geeignet?

Die Geeignetheit ist zu bejahen, wenn der Zweck zumindest gefördert wird. § 86a StGB sanktioniert das Verwenden von Symbolen verfassungswidriger Organisationen mit Strafe; daher ist davon auszugehen, dass die Verwendung bzw. Verbreitung derartiger Symbole in der Öffentlichkeit weitaus weniger stattfindet. In der Konsequenz nimmt die Propaganda für verfassungswidrige Organisationen in der Öffentlichkeit ab. Das Gesetz ist zum Erreichen des Zwecks geeignet.

> Gesetz erforderlich?

Mildere Mittel sind nicht  ersichtlich, so dass auch das Merkmal der Erforderlichkeit erfüllt ist.

> Angemessenheit des Gesetzes

Zudem dürfen Zweck und Mittel nicht außer Verhältnis stehen. Sinn der Beschränkung der Meinungsfreiheit ist es, öffentliche Propaganda für verfassungswidrige Organisationen zu verhindern bzw. zu reduzieren und „die abstrakte Gefahr einer inhaltlichen Identifizierung mit dem Bedeutungsgehalt symbolträchtiger Kennzeichen, deren Verwendung den Anschein erwecken könnte, verfassungswidrige Organisationen könnten trotz ihres Verbots ungehindert ihre Wiederbelebung betreiben” (Tröndle-Fischer, § 86 a Rn.1) zu minimieren. Dennoch bleibt durch § 86a StGB die Meinungsfreiheit weitgehend erhalten: Der öffentliche Diskurs wird nicht unzumutbar unterdrückt, da § 86a StGB nur das Verwenden von Symbolen verfassungswidriger Organisationen unter Strafe stellt, abgesehen davon aber jede politische Diskussion vom Straftatbestand unberührt bleibt. Weiterhin existieren in der Norm Ausnahmen, die das Verwenden verbotener Kennzeichen erlauben: siehe § 86 a III i. V. m. § 86 III StGB: wenn die Handlung etwa der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder Wissenschaft, Forschung oder Lehre dient. Auf diese Weise bleibt ein weiter Bereich der Meinungsfreiheit bzw. der politischen Diskussion um verfassungswidrige Organisationen bestehen. Das Verwendungsverbot außerhalb dieser normierten Ausnahmen bezweckt die Aufrechterhaltung des demokratischen Rechtsstaats und bzw. die Reaktion auf ihm drohende Gefahren. Deshalb handelt es sich insgesamt nicht um einen besonders intensiven Eingriff in die Meinungsfreiheit; auf der anderen Seite geht es um hochrangige Verfassungsgüter wie den demokratische Rechtsstaat bzw. den Erhalt des GG selbst. Daher erfolgt die Abwägung zuungunsten der Meinungsfreiheit.

§ 86a StGB ist auch verhältnismäßig und damit insgesamt verfassungsgemäß.

b) Verfassungskonforme Anwendung von § 86a StGB im Einzelfall

Fraglich ist, ob die Gerichte bei ihrer Entscheidung die Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit richtig erkannt und eingeschätzt haben. Dies wäre dann nicht der Fall, wenn durch die Urteile die Freiheit der Meinungsäußerung des Beschwerdeführers unverhältnismäßig beschnitten wurden.

Bei der Auslegung des Gesetzes ist die Wechselwirkungslehre zu beachten. Diese Lehre beschreibt eine Wechselwirkung in dem Sinne, dass der Eingriff zwar dem Wortlaut nach das Grundrecht der Meinungsfreiheit beschränkt, aber seinerseits an dem Wesensgehalt des Grundrechts selber ausgelegt werden muss und so in der das Grundrecht beschränkenden Wirkung selbst wieder beschränkt werden muss. Es stellt sich vorliegend die Frage, ob das Gericht ein durchgestrichenes Hakenkreuz (bzw. die Varianten) als Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen unter § 86 a I Nr. 1 und 2 i. V. m. § 86 I Nr. 4 StGB subsumieren durfte? Ein nicht durchgestrichenes Hakenkreuz ist im Sinne des § 86 I Nr. 4 StGB ein Propagandamittel, das nach seinem Inhalt dazu bestimmt ist, Bestrebungen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation fortzusetzen. Wie verhält es sich aber bei einem erkennbar durchgestrichenen Hakenkreuz bzw. den im Sachverhalt erwähnten Varianten (Hakenkreuz in Mülleimer, Hakenkreuz zertrümmert)? Der laut BGH verletzte § 86a StGB bestraft “die abstrakte Gefahr einer inhaltlichen Identifizierung mit dem Bedeutungsgehalt symbolträchtiger Kennzeichen, deren Verwendung den Anschein erwecken könnte, verfassungswidrige Organisationen könnten trotz ihres Verbots ungehindert ihre Wiederbelebung betreiben” (Tröndle-Fischer, § 86 a Rn. 1). Die Tatsache, dass Hakenkreuze auf den Produkten, durchgestrichen, zertrümmert oder symbolisch in den Mülleimer entsorgt werden, führt gerade zu einem Gegensatz zu der o. g. Strafbegründung. Die durchgestrichenen Symbole verdeutlichen eine ablehnende Einstellung gegenüber den Bedeutungsinhalten der Symbole. Keinesfalls kann der Eindruck einer Wiederbelebung einer nationalsozialistischen Organisation erweckt werden. Das Gegenteil ist der Fall. Die Argumentation der Judikative, derartige Symbole – seien sie auch erkennbar durchgestrichen – sollen grundsätzlich. aus dem öffentlichen Leben verschwinden, geht fehl, was bereits die Ausnahmetatbestände des § 86 III StGB zeigen; auch dort dürfen diese Kennzeichen verwendet werden. Sie widerspricht dem Schutzzweck des § 86 a StGB.  Dieser Schutzzweck des § 86 a StGB wird folgendermaßen beschrieben: „Zeigen oder Benutzen der Kennzeichen [...] unter Umständen, die als Bekenntnis zu den Zielen der verbotenen Organisation aufgefasst werden.”(Schönke-Schröder, § 86 a StGB) Nach BGHSt 25, 133 erfüllt „die Wiedergabe des Kennzeichens einer verbotenen verfassungswidrigen Organisation [...] den Tatbestand des StGB § 86a nicht, wenn nach dem gesamten Inhalt [...] eine Wirkung auf Dritte in einer dem Symbolgehalt des Kennzeichens entsprechenden Richtung von vornherein ausgeschlossen ist und wenn die Verbreitung auch sonst dem Schutzzweck des StGB § 86a erkennbar nicht zuwiderläuft”.

Das verwendete Symbol findet sich auf den von X zum Verkauf angebotenen Produkten im Rahmen ihres Versandhandels für Punker, hierin zeigt sich bereits die anti-rechtsradikale Gesinnung. Zusammen betrachtet mit der Verfremdung der Form (durchgestrichenes Hakenkreuz), ist eine Wirkung auf Dritte in der Form, dass mit dem Abzeichen in irgendeiner Form Propaganda für Nazi Organisationen gemacht werden sollte, ausgeschlossen, da keinerlei Umstände dafür sprechen dass das Tragen der Abzeichens als Bekenntnis zu den Zielen der verbotenen Organisation aufgefasst wird.

Das Halteverbotsschild, welches Hakenkreuz einrahmt, ist international bekannt und daher nicht missverständlich, auch nicht bei ausländischen Touristen, wie das Gericht meint. Für jeden verständigen Dritten stellt es eine Meinungsäußerung gegen Rechtsradikalismus dar. Eben dieses gilt bei dem Symbol eines Hakenkreuzes, welches in einen Mülleimer befördert wird. Dieses wird noch unterstrichen durch den Satz „Halte Deine Umwelt sauber.” Rechtsradikalismus wird hier als schädliche Gesinnung betrachtet, die ausgemerzt werden muss. Das gleiche gilt für das Symbol eines zertrümmerten Hakenkreuzes.

Aus all dem ergibt sich, dass die Gerichte bei ihren Strafurteilen die Meinungsfreiheit der X nicht ausreichend gewürdigt haben, da sie den Schutzzweck des § 86a StGB völlig verkannt haben. Die Urteile stellen also einen unverhältnismäßigen Eingriff in Art. 5 I GG dar.

Mithin ist eine Verletzung von Art. 5 I GG zu bejahen.

II. Art. 12 I GG

Weiterhin kommt eine Verletzung der Berufsfreiheit gemäß Art. 12 I GG in Betracht. Die Berufsfreiheit steht in keinem Spezialitätsverhältnis zu Art. 5 I GG, so dass diese Grundrechte nebeneinander Anwendung finden.

1. Schutzbereich

Art. 12 I GG schützt als einheitliches Grundrecht die Berufsfreiheit (Argument: Berufsausübung als ständige Bestätigung der Berufswahl). Beruf i. S. d. Art. 12 I GG ist jede auf gewisse Dauer angelegte Tätigkeit, die der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dient und nicht verboten (bzw. nicht schlechthin gemeinschädlich) ist. Auf gewisse Dauer angelegt ist eine Beschäftigung, die sich nicht in einem einmaligen Erwerbsakt erschöpft. Der Erschaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dient eine Tätigkeit, die mehr als ein bloßes Hobby ist. Das Betreiben eines Versandhandels ist unproblematisch ein Beruf i. S. d. Art. 12 I GG. Hier ist die Berufsausübungsfreiheit betroffen.

2. Eingriff

In die Berufsfreiheit geschieht ein Eingriff durch Regelungen mit Berufsbezug, d.h. durch Regelungen, die unmittelbar und zielgerichtet die berufliche Tätigkeit des einzelnen berühren und einschränken. Durch das Verbot des Verkaufs der Produkte, die durchgestrichene Hakenkreuze bzw. ähnliche Symbole aufweisen, wird die berufliche Tätigkeit der X zielgerichtet eingeschränkt. Demnach liegt ein Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit vor.

3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

a) der gesetzlichen Eingriffsgrundlage: hier § 86 a StGB

aa) formelle Verfassungsmäßigkeit

Die formelle Verfassungsmäßigkeit wurde bereits bejaht.

bb) materielle Verfassungsmäßigkeit

(1) Art und Wahrung des Schrankenvorbehalts

Als einheitliches Grundrecht der Berufsfreiheit steht Art. 12 I GG entgegen seinem Wortlaut (Berufsausübung) unter einem einheitlichen Gesetzesvorbehalt. Dies ergibt sich daraus, dass die Berufsausübung eine ständige Bekräftigung der Berufswahl darstellt. Eine derartige Auslegung wird durch Art. 74 I Nr. 19 GG bestätigt, der deutlich macht, dass das Grundgesetz von einer Regelbarkeit auch der Berufswahl ausgeht.

Bei § 86 a StGB handelt es sich um ein formelles Gesetz, so dass dieses von der Schranke (einfacher Gesetzesvorbehalt) gedeckt ist.

(2) Verhältnismäßigkeit des Gesetzes

Die Verhältnismäßigkeit regelt sich im Rahmen des Art. 12 I GG nach der vom BVerfG entwickelten sog. 3-Stufen-Theorie. Die erste Stufe bilden hiernach Eingriffe in die Berufsausübung; die zweite Stufe erfasst subjektive und die dritte objektive Zulassungsregeln.

Berufsausübungsregelungen („Wie”) auf der 1. Stufe haben die Art und Weise der beruflichen Tätigkeit zum Gegenstand. Sie gelten Bedingungen, unter denen sich Berufstätigkeit vollzieht und stellen den leichtesten Eingriff auf der Stufenskala dar. Im vorliegenden Fall handelt es sich nicht darum, ob die X weiter ihren Beruf als Versandhändlerin ausüben kann, sondern ausschließlich um Verkaufsmodalitäten. Damit ist ein Eingriff auf der ersten Stufe gegeben. Berufsausübungsregelungen sind gerechtfertigt, wenn vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls diese zweckmäßig erscheinen lassen. Die Aufrechterhaltung des demokratischen Rechtsstaats geht sogar über vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls hinaus; hier kann auf die im Rahmen von Art. 5 GG angebrachte Argumentation verwiesen werden. Das Gesetz ist auch in Bezug auf Art. 12 I GG verhältnismäßig.

b) der Anwendung im Einzelfall

Darüber hinaus müsste auch die Anwendung im Einzelfall verfassungsgemäß sein. Das wäre nicht der Fall, wenn das Gericht bei der Auslegung des § 86 a StGB die Berufsfreiheit verkannt hätte. Vorliegend existiert keine vernünftige Erwägung des Gemeinwohls, die den Eingriff in diesem Einzelfall rechtfertigen könnte, denn das Schutzgut des § 86 a StGB ist von den Gerichten – aus den o. g. Gründen – in sein Gegenteil verkehrt worden. Indem X die benannten Produkte verkauft, zeigt sie gerade ihre antifaschistische Einstellung; die freiheitlich-demokratische Grundordnung ist in keiner Weise bedroht, im Gegenteil könnte man vertreten, dass X durch ihre Tätigkeit dazu beiträgt, sie zu stärken.

Somit ist auch Art. 12 I GG verletzt.

III. Kunstfreiheit, Art. 5 III 1 GG

Art. 5 III 1 GG steht in keinem Spezialitätsverhältnis zu Art. 5 I und 12 I GG, so dass diese Grundrechte nebeneinander Anwendung finden.

1. Schutzbereich

Es existieren verschiedene Kunstbegriffe im Sinne des Art. 5 III 1 GG. Das BVerfG ist in der Mephisto-Entscheidung noch von der Definierbarkeit von Kunst ausgegangen; wesentlich sei die „freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden.”. Später spricht das Gericht von der „Unmöglichkeit, Kunst generell zu definieren”. In den Produkten der X äußert diese auf kreative Art und Weise ihre antifaschistische Haltung. Daher handelt es sich in diesem Fall unproblematisch um Kunst i. S. d. Art. 5 III 1  GG. Die Kunstfreiheit schützt nicht nur den Werk- sondern auch den Wirkbereich, d.h. derjenige, der solche Abbildungen geschäftsmäßig vertreibt, ist auch geschützt. Demnach kann sich X, die die Produkte nicht selbst hergestellt hat, sondern nur verkauft, auch auf Art. 5 III 1 GG berufen.

2. Eingriff

Der Eingriff erfolgte durch das strafrechtliche Urteil.

3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

a) Art und Wahrung des Schrankenvorbehalts

Art. 5 III 1 GG ist vorbehaltlos gewährleistet, daher kommt nur kollidierendes Verfassungsrecht als Schranke in Betracht. Kollidierendes Rechtsgut ist hier der demokratische Rechtsstaat (Art. 20 III GG).

b) Verhältnismäßigkeit des § 86 a StGB

Die Verhältnismäßigkeit des § 86 a StGB ist auch in Bezug auf die Kunstfreiheit gegeben, da es sich mit der Verkaufsbeschränkung um einen geringen Eingriff handelt, ohne den der demokratische Rechtsstaat und der politische Frieden gefährdet wären (s. o.) und der daher angemessen ist.

c) Anwendung des § 86 a StGB im Einzelfall

Das Gericht hat das Grundrecht auf Kunstfreiheit bei der Auslegung des § 86 a StGB verkannt (Argumente: s. o.). Demnach ist X auch in Art. 5 III 1 GG verletzt.

C. Ergebnis

Die X wurde durch das Urteil in ihren Grundrechten auf Meinungsfreiheit gem. Art. 5 I, Berufsfreiheit gem. Art. 12 I, und Kunstfreiheit gemäß Art. 5 III 1 GG verletzt. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und begründet und hat daher Aussicht auf Erfolg.

Trackback: Trackback-URL | Autor: hfe | Diese Seite als PDF herunterladen

Kommentare und Pings sind geschlossen.